Von „sinnlichen Jazzlauten, langgezogen und klagend“ ist die Rede, vom „gequälten Heulen der Blasinstrumente“ und vom „rohen Hämmern der Trommeln“. Dass „die Banjos klimperten wie im Delirium“ und „die Kapelle gellte und schnaubte, pfiff und lachte wie eine Hyäne“ war zu Anfangszeiten des Jazz üblich. Hilflos standen zahlreiche Autoren vor dem neuen Phänomen in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts – sowohl in der Fach- als auch der schöngeistigen Literatur.
Zur letzteren zählte Carl van Vechten. Der amerikanische Fotograf und Musikkritiker, 1880 in Iowa geboren und 1964 in New York gestorben, beschrieb die Harlem Renaissance in seinem Roman „Nigger Heaven“, der 1926 im Original und letzten Herbst (!) erstmals auf deutsch erschien. Der Roman, ein Schlüsselroman eben jener geistigen Richtung, erzählt die Geschichte eines Paares in Harlem, das im schwarzen Umfeld zu überleben versucht. Die angestellte Bibliothekarin und der erfolglose Schriftsteller hadern mit allen Arten von Rassismus und müssen sich durchbeißen.
„Van Vechtens bahnbrechender Bestseller löste wegen seines skandalösen Titels heftige Kontroversen aus“, so der Verlag, da er das Los der schwarzen Bevölkerung schonungslos darstellte. Der weiße Autor ergreift Partei, indem er ein Spiegelbild seiner Zeit zeichnet. Er ist mit den Schwarzen, ihrer Lebensfreude und Kultur. Mit Dichtung, Malerei, Tanz und Jazz fand die afroamerikanische Erfahrung ihren Ausdruck. Sie fand in allen Sparten der Kunst erstmals eine eigene Identität jenseits weißer Vorbilder. Die Harlem Renaissance war geboren.
Niemand hat sich „nur annähernd“ mit dem Nachtleben, den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und der speziellen Atmosphäre Harlems befasst wie Carl van Vechten. Er war, wie Lincoln Kierstein im Nachwort ausführt, „in vielfacher Hinsicht verantwortlich für die frühe Anerkennung und den Triumph des amerikanischen Jazz und des Jazztanzes in Frankreich und dann in ganz Europa und der Welt“. Und: „ er erkannte, vielleicht als Erster in einem erkennbaren Grad, das natürliche Flair, das Talent für Rhythmus und Ausdruckskraft, die Lebensfreude, das Feuer, das Mörderische und die verbale Genauigkeit im Dialog des Harlemer Alltagslebens“.
Carl van Vechten, Nigger Heaven, Metrolit Verlag, Berlin 2012, 272 Seiten, 24,95 Euro (ISBN 978-3-8493-0008-1)