Body
Guillaume Dufay: Missa ‚Se la face ay pale’; The Early Music Consort of London, David Munrow; Virgin 5 61283 2.Guillaume Dufay: Music for St. Anthony of Padua; the Binchois Consort, Andrew Kirkman
Hyperion CDA 66 854 (über Koch)
Guillaume Dufays Musik, so hat der Komponist Mathias Spahlinger geschrieben, gehöre einer Tradition an, die wir „als sich entfernende schmerzlich erfahren“. Wer sich mit Aufnahmen Dufays befaßt, wird die von Spahlinger als Ferne beschriebene Fremdheit dieser Musik, die sich dem besitzenden Zugriff entzieht, immer wieder schockhaft wahrnehmen. Und doch stets dem ästhetischen Überschuß eines Komponisten erliegen. Zwei unterschiedliche Aufnahmen lassen über die (Un-)Möglichkeit einer musikalischen Interpretation Dufays nachdenken. EMI hat auf dem Virgin-Label die 1973 unter der Leitung David Munrows entstandene Einspielung von Dufays wohl bekanntester Messe „Se la face ay pale“ neu aufgelegt. Mit seiner energischen, rhythmisch scharf akzentuierten Darstellung zeichnet Munrow, der sich 1976 im Alter von 34 Jahren das Leben nahm, ein farbiges Bild dieser an der Schwelle zur Renaissance stehenden Musik. Den an sich schon bläserhaften Duktus des Gesangs – unter den Mitwirkenden finden sich so bekannte Namen wie James Bowman, Charles Brett und Rogers Covey-Crump – verstärkt Munrow noch durch die Stimmen verdoppelnde Bläser. Auf diese Weise entsteht ein mächtiger, festlicher Klang, der die komplexe Musik simpler erscheinen läßt als sie wirklich ist.
Im Kontrast zu Munrows farbenfroher Expressivität steht die klanglich geradezu sublime, kühle Eleganz, mit der das eigens für diesen Anlaß gebildete Binchois Consort die Dufay von dem Musikwissenschaftler David Fallows neuerdings zugeschriebene „Missa de S Anthonii de Padua“ interpretiert. Die sechs Sänger, die einmal mehr das unerschöpfliche Reservoir englischer Ensembles bestätigen, bewältigen die komplizierte Polyphonie mit müheloser Selbstverständlichkeit und einer Subtilität des Klangs, die Munrows Darstellung im Vergleich nachgerade schwerfällig erscheinen läßt. Man möchte von einem Fortschritt der Interpretation sprechen – und stockt doch, weil der ästhetische Überschuß, den diese Aufnahme von Dufays Musik vermittelt, wieder eine andere Seite ihrer Fremdheit, ihre exegetische Theologie, unterschlägt. Aber daß die von Andrew Kirkman erarbeitete Darstellung diese Frage suggeriert, spricht allein schon für ihr außerordentliches Niveau.