Noch in den neunziger Jahren stießen alle hierzulande auf taube Ohren, die Ansätze machten, die „Wurzeln“ einer gewissen Spielart der Populärkultur in jüdischen Traditionen zu suchen. Aber seit etwa einem Jahrzehnt hat sich das geändert. Eine großartige Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien fasst nun gewissermaßen viele der Themenfelder, die in den letzten Jahren bearbeitet wurden, zusammen. Dabei geht die Ausstellung „Alle meschugge?“ über das Thema „Jüdischer Witz und Humor“ weit hinaus. Das Begleitbuch, im Amalthea-Verlag erschienen, sei jedem, der sich mit Populärkultur beschäftigt, wärmstens als künftiges Standardwerk empfohlen.
„An allem sind die Juden schuld ...“, nennt Danielle Spera, die Direktorin des Wiener Jüdischen Museums, ihr Vorwort zu diesem Band. Und sie zitiert dabei sehr bewusst Friedrich Hollaender, den „Vater“ der deutschen Pop-Musik, der den Zeitgeist am Ende der Weimarer Republik im Habanera-Rhythmus auf den Punkt brachte. Lange Zeit war dieses Chanson aus einer Hollaender-Revue vergessen. Nur Cabaret-Spezialisten hatten sich in der Wirtschaftswunderzeit noch manchmal daran erinnert. Jetzt führt dieses bitterböse Lied in einem neuen Kontext ein zweites Leben, wie die Tin-Pan-Alley-Schlager, die von den Jazzern zum „Standard“ ver-edelt wurden. Ein klassisches Beispiel für den „Humor der Unterdrückten“, wie das Spera nennt: „Jüdische Witze sind per se nicht komisch. Verfolgung, Elend und Not kennzeichnen die jüdische Geschichte. Bitterkeit und Leid konnte man zwar durch Humor nicht aus der Welt schaffen, doch das Schicksal ließ sich damit leichter meistern.“
Der Termin dieser Ausstellung ist gut gewählt, jährt sich doch heuer zum 75. Mal der sog. „Anschluss“. 1933 und 1938 sind die beiden Schlüsseljahre für die Geschichte der deutsch-jüdischen Populärkultur. Mit der „Entjudung“ der Unterhaltungskultur verschwand auch diese Art von Humor aus dem Dritten Reich und der „Ostmark“. Und manche der Künstler wie Kurt Gerron oder Fritz Löhner-Beda wurden von den Nazis ermordet. Während in Deutschland nach dem Krieg kaum einer der Remigranten seine Karriere fortsetzen konnte, gelang es in Österreich einer kleinen Gruppe von Amerika-Heimkehrern, ein eigenes Genre zu erfinden: das „Wiener Nachkriegskabarett“. Zusammen mit dem „Arier“ Helmut Qualtinger, der später zum „Herrn Karl“ mutieren sollte, lieferten Gerhard Bronner und Georg Kreisler die Cabaret-Hits der Saison, die natürlich im Museum auch erklingen.
Während Bronner in Hermann Leopoldi sein großes Vorbild sah, orientierte sich Kreisler am schwarzen Humor eines Tom Lehrer. „Nichtarische Arien“ hat Kreisler einen seiner Zyklen genannt. Für Peter Lodynski, der für das kleine Künstler-Lexikon des Buchs ein schönes Kreisler-Porträt geliefert hat, machte der Meis-ter damit einen Brückenschlag zum allerersten Kabarett-Theater Wiens: die 1889 gegründete Budapester Orpheumgesellschaft, die ihre Programme im jüdischen Jargon brachte. Felix Salten schrieb damals über die jüdische Komik der Budapester: „Solche Menschen bringt ein Volk hervor, das in Erniedrigung lebt, das aber nach fünfzehn Jahrhunderten noch nicht vermocht hat, sich an Erniedrigung zu gewöhnen.“
Aber die Ausstellung wagt auch einen Blick nach Übersee, nach Hollywood und an den Broadway. Zwei große Emigranten stehen im Mittelpunkt: der Berliner Ernst Lubitsch, der „Vater“ der Filmkomödie – und Miterfinder des Filmmusicals –,und sein Wiener Schüler Billy Wilder, der Marilyn Monroe zur begnadeten Komödiantin machte. Für Wilders „A Foreign Affair“ schrieb Friedrich Hollaender übrigens zwei seiner schönsten Lieder: „Black Market“ und „Illusions“. Daneben gibt es auch noch in Filmausschnitten ein Wiedersehen mit den Marx Brothers, die den Vaudeville-Geist nach Hollywood importierten, dem genialen „Total Filmmaker“ Jerry Lewis, dem ewigen Stadtneurotiker Woody Allen, dem „Funny Girl“ Barbra Streisand, dem trotteligen „Inspektor Clouseau“ Peter Sellers oder Sacha Baron Cohen, den die meisten nur als Borat kennen. Und natürlich dürfen auch nicht der geniale Mel Brooks („I heil myself!“) und „Seinfeld“ fehlen.
Vaudeville, Revue, Operette, Musical, Cabaret, Film, Comics – all das wurde entscheidend geprägt von den Einfällen jüdischer Künstler, wie diese Ausstellung eindrucksvoll zeigt. Was einst im osteuropäischen Schtetl begann, kam zwischen Wien, Berlin, Broadway und Hollywood zur vollen Blüte. Marcus G. Patka und Alfred Stalzer, die Kuratoren und Herausgeber des Buches, haben hier vorbildliche Arbeit geleistet. Die Ausstellung „Alle meschugge?“ ist noch bis zum 8. September im Jüdischen Museum Wien zu sehen.