Er führte Ende 1965 die Sitar in die Popmusik ein: George Harrison. Ausgerechnet auf einer Lennon/McCartney-Nummer, „Norwegian Wood“, erklang zum ersten Mal dieses für die westliche Musik exotische Instrument. Und das erzählt bereits eine Menge über den „stillen Beatle“, in dessen Inneren es „loderte“, wie Paul Theroux schreibt in seinem schönen Vorwort zu Olivia Harrisons und Mark Holborns großartigem Coffeetable-Book „George Harrison – Living in the Material World“ (Knesebeck). Eine „illustrierte Biografie“, die Martin Scorseses gleichnamige dreistündige Dokumentation auf DVD oder Blue-ray (StudioCanal) ergänzt.
It was 50 years ago… als in Hamburg ein gewisser Bert Kaempfert die allerersten offiziellen Plattenaufnahmen mit den Beatles machte, die damals noch aus John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Pete Best bestanden. Weil niemand bei Polydor an die Band glaubte, löste Kaempfert den Vertrag mit dem Beatles-Manager Brian Epstein vorzeitig auf. Der Rest ist Geschichte, die Scorsese natürlich miterzählt in seinem Dokumentarfilm über George Harrison, der nur wenige Songs für die Fab Four schreiben durfte, darunter allerdings Klassiker wie „While My Guitar Gently Weeps“, „Here Comes The Sun“ oder „Something“.
Als sich die Beatles 1970 offiziell auflösten, bastelte Harrison längst an seinem Opus magnum „All Things Must Pass“. Ein Werk, das zum Millionenseller wurde und auch Scorsese schwer beeindruckte: „Allein die Gestaltung des Covers war schon ungewöhnlich, mit einem sehr eindringlichen, fast zeitlos wirkenden Foto von George in Friar Park. Es war ein Dreifachalbum, angefüllt mit einer ganz neuartigen Musik. In dem Moment, in dem ich die erste Platte auflegte, die Nadel auf die erste Rille setzte und der Song ‚I‘d Have You Anytime‘ erklang, war ich sofort gefangen.“ Ein magischer Moment für Scorsese, der auch 1969 beim „Woodstock“-Filmprojekt dabei gewesen ist. Zum Welthit daraus entwickelte sich Anfang 1971 „My Sweet Lord“, ein Pop-Mantra, das sich George Harrison vielleicht unbewusst „geliehen“ hatte von dem Brill-Building-Schlager „He‘s So Fine“. Im Film erzählt Billy Preston, den viele 1969 als den „fünften Beatle“ sahen, dass während einer Session mit Delaney & Bonnie plötzlich einer diesen Refrain zu singen anfing: Ma sweet lawd…
Was in Deutschland bis heute immer komplett in der Betrachtung der Fab Four untergeht, ist, dass die Beatles eigentlich noch Kinder der britischen Music Hall waren, und so freut man sich besonders, wenn Paul Theroux in seinem klugen Vorwort zum Buch einen von Harrisons ganz großen Idolen erwähnt: „George konnte so fröhlich sein wie sein Ukulele spielender Held und Namensvetter George Formby, sobald er jedoch unsere Aufmerksamkeit mit seinem Humor und gewinnenden Worten errungen hat, erinnert er uns – und sich selbst – daran, dass wir sterblich sind und alles, selbst das Lachen, ein Ende findet.“
Jeder, der aus Liverpool kommt, hielt sich für einen „Spaßvogel“, hat George Harrison später erzählt. Das habe sie aufrecht gehalten. Gerade nach dem Krieg, als die deutsche Luftwaffe Liverpool in Schutt und Asche gelegt hatte. Mit Bildern des zerbombten Liverpool beginnt dann auch das Buch, das wirklich eine sehr schöne Ergänzung bietet zu Scorseses ebenfalls chronologisch erzähltem Film. Zu Wort kommt natürlich auch der Studio-Mastermind der Beatles: George Martin. Sehr präzise skizziert er die Position des „stillen Beatle“ als „Loner“. „Mach Schau!“, das gute alte „Star-Club“-Motto war was für John & Paul & Ringo gewesen, nicht für George. So blieb für George nur die Rolle des „besten Gitarristen“ in der Band, wie sich Paul erinnert. Und für den stillen Beobachter, der mit seiner Super-8-Kamera die Welt eroberte, auch Bora-Bora: „Ich wachte auf und schaute aus dem Bullauge. Es war umwerfend. Damals hatten wir außer England kaum etwas gesehen und waren noch nicht in den Tropen gewesen. (…) Es verschlug mir den Atem.“ Ein Jahr später machte sich George Harrison nach Kaschmir auf, um dort zusammen mit seinem Sitar-Lehrer Ravi Shankar zum „Eigentlichen“ vorzudringen, wie er das nannte, zur „ spirituellen Erleuchtung“.
Ravi Shankar war dann 1971 auch beim ersten Benefiz-Konzert der Popgeschichte dabei, „The Concert for Bangladesh“, zusammen mit Ringo Starr und Bob Dylan. Die Aufzeichnung des Konzerts wurde dann auch zum Blueprint für Martin Scorseses „The Last Waltz“ mit The Band. In den letzten Jahren hat Scorsese damit wieder angeschlossen mit seinen großartigen Filmen über Bob Dylan, The Rolling Stones und jetzt George Harrison.
In Vorbereitung ist übrigens immer noch sein Spielfilmprojekt über Frank Sinatra. Seit „Mean Streets“ orchestriert Scorsese viele seiner Filme mit Popmusik. So setzte er sehr geschickt Eric Claptons „Layla“ auf dem Soundtrack zu „Good Fellas“ ein. In „Living In The Material World“ lässt nun Scorsese Clapton die Geschichte zu dem Lied erzählen, das ein Liebeslied gewesen ist für Harrisons damalige Frau Pattie Boyd, die er ihm damit ausgespannt hat.
Und so bastelt auch hier wieder Scorsese ganz nebenbei an seinem sehr persönlichen Pop-Puzzle des 20. Jahrhunderts weiter.