„Immerhin ist schon einmal klar, was wir nicht wollen: Ein langweilig abgelichtetes Konzert, unterbrochen durch ein paar O-Töne, angereichert mit prätentiösem Bildungsgeschwätz und öder Faktenhuberei für Spezialisten.“ Ziemlich forsch gibt sich Rolf Rische in dem Sammelband „Musik und Kultur im Rundfunk“ (Band 1 der Schriftenreihe „Mediendialoge des Instituts Lernradio der Hochschule für Musik Karlsruhe“).
Als Leiter der „Abteilung Gesellschaft und Unterhaltung“ bei DW-TV, dem Auslandsfernsehen der Deutschen Welle, verteidigt er das Konzept seiner nun auf sechs DVDs vorliegenden Sendereihe „Kent Nagano dirigiert Monumente der Klassik“ schon mal vorsichtshalber gegen jene kritischen Bildungsschwätzer, die diesem Format vielleicht eine gewisse Substanzarmut vorwerfen könnten.
Leider können die Filme den vorauseilenden Enthusiasmus, den sein Text zu verbreiten sucht, nicht wirklich einlösen. Dem Einfallsreichtum und der Professionalität, mit denen die Konzerte des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin gefilmt wurden, stehen Werkporträts gegenüber, die über weite Strecken in atmosphärischen Beschreibungen verharren und nie die Prägnanz und den Unterhaltungswert der Rattle-Serie „Revolution der Klänge“ (nmz 10/05 und 4/06) oder der „Keeping-Score“-Filme mit Michael Tilson Thomas (nmz 3-07) erreichen.
Das liegt nicht zuletzt an Kent Nagano selbst, der als Vermittler weder dem beseelten Plauderer Tilson Thomas noch dem eloquent und charismatisch am Klavier demonstrierenden Rattle das Wasser reichen kann. Mit nachdenklichem Ton spricht er davon, die Eroica lasse uns hoffen, dass unsere Träume wahr werden und vergleicht deren vierten Satz ohne weitere Erläuterung mit einer „Opernszene“. Ein erstes persönliches Wort hören wir in Sachen Bruckner (8. Symphonie) von ihm: Das Singen im Chor habe ihm das Gefühl gegeben, die amerikanische Kleinstadt hinter sich zu lassen. Hier sowie bei Brahms’ Vierter und Strauss’ Alpensinfonie kommt Nagano ein wenig in Fahrt, riskiert auch mal einen Blick in die Noten.
Doch auch die Verzahnung mit den Konzertausschnitten überzeugt nicht durchweg. Selten folgt einem konkreten Hörhinweis eine entsprechend nachzuvollziehende Stelle, meist dienen lange Musikpassagen als Illustration einer allgemein gehaltenen Charakterisierung, was auch in Anbetracht des ohnehin komplett auf den DVDs enthaltenen Mitschnitts nicht überzeugt. Dem Modell aus San Francisco folgend, kommen auch die Orchestermusiker zu Wort, ein belebendes Element, das manch schöne Beobachtung oder Demonstration, aber auch den ein oder anderen Gemeinplatz zutage fördert.
Und noch ein weiteres Element haben die Produzenten der Serie zu integrieren versucht: Biografisches zu den Komponisten sollte in kurzen Schlaglichtern aufscheinen. Hier wurde die Form des Trickfilms gewählt, um „Inhalte origineller und direkter transportieren“ zu können „als in gewohnten Formen“ (Rische). So sehen wir also animierte Abziehbilder Mozarts (den das Billard-Spiel zum Finalthema der Jupiter-Symphonie anregt) oder Schumanns (der mit Clara in Düsseldorf über das inspirierende Rheinland sinniert). Immerhin basieren die Dialoge auf Originalzitaten, was den Gehalt der optisch eher schlichten Streifchen aber nur unwesentlich erhöht. Ein Bild von dieser entbehrlichen Innovation auf dem Gebiet der Musikgeschichtsvermittlung kann man sich auf der Internetseite des Produktionshauses machen: http://www.duplicon.de/projekte/monumente-der-klassik-trickfilm.php Bleibt die optische und musikalische Qualität der aufwändigst verfilmten Konzerte (HDTV, spektakuläre Nahaufnahmen und Kamerafahrten). Ohne der Gefahr einer Überfrachtung ganz zu entgehen, legen sie ein eindrucksvolles Zeugnis von Naganos Wirken in Berlin ab.
Berlioz Rediscovered: Symphonie Fantastique, Messe Solennelle. Decca 074 3212
Endlich auf DVD wiederveröffentlicht, liegt John Eliot Gardiners Pionierarbeit in Sachen Originalklang-Berlioz vor. Eine Sternstunde spielte sich da am Uraufführungsort der Fantastique, im Saal des Pariser Conservatoires im September 1991 ab. Der optische Eindruck der sechs Harfen, der Ophicléide oder des Serpents korrespondiert aufs Schönste mit der herausragenden musikalischen Qualität dieser Einspielung.
Auch die erst 1992 wiederentdeckte Messe Solennelle, deren Material Berlioz in späteren Werken großzügig wiederverwendete, erfährt in dem Mitschnitt aus der Westmister Cathedral eine exemplarische Wiedergabe durch den Monteverdi Choir und Gardiners Orchestre Révolutionnaire et Romantique. Auch als Anschauungsmaterial in Sachen Instrumentenkunde ist diese DVD an Prägnanz und Faszinationskraft kaum zu überbieten.