Oper und DVD-Video – eine unschlagbare Kombination, die die silberne Wunderscheibe zum Senkrechtstarter unter den neuen Musik-Datenträgern machte. Doch jenseits der hohen Cs finden sich aufregende Nebenschauplätze der DVD-Diskografie, etwa personen-bezogene Musik-Dokumentationen.
Oft geraten diese Filme spannender als jede Biografie. Nichts gegen ein gut recherchiertes Buch, das die Phantasie des Lesers beflügelt. Doch wenn Robert Palmer hinter der Kamera steht, rückt einem das Schicksal der porträtierten Persönlichkeit wirklich nahe. Schon in seinem mittlerweile klassischen Streifen über die Callas machte Palmer keinen Bogen um die Schattenseiten einer Karriere im kommerzialisierten Klassik-Business. In dieser Hinsicht ist sein neues Porträt „Ladies and Gentlemen, Miss Renée Fleming...“ noch aufrichtiger. Und man kann nur darüber staunen, dass die cremigen Töne der Fleming nach wie vor strömen wie Flüsse aus Milch und Honig – so offenherzig spricht sie über ihre Probleme mit dem Opern-Zirkus: die eigene Schüchternheit, die ständige Angst zu versagen oder die Schwierigkeit, Familie und Karriere unter einen Hut zu kriegen. Man begegnet einem Menschen, nicht einer Diva.
Eine pessimistische Abrechnung braucht dennoch keiner zu fürchten. Geschickt kombiniert Palmer Flemings Aussagen mit Momentaufnahmen aus dem Alltags-Leben eines Stars: etwa „Othello“-Proben an der Seite von Ben Heppner, Aufnahme-Sitzungen zum Verdi-Requiem unter Gergiev, Small-Talk bei offiziellen Terminen. Zur Musik: Im Bonus-Teil singt Fleming Jazz-Standards und eigens aufgezeichnete Arien, die leider selten am Stück ausgespielt werden. Was zählt ist ohnehin die Stimme der Fleming: reinste Wonnen des Wohllauts.
Noch ein wenig kunst- und anspruchsvoller empfinde ich „The Alchemist“. Hinter diesem Titel verbergen sich vier Kurzfilme von Bruno Monsaingeon, die verschiedene Facetten des kanadischen Klavier-Eremiten beleuchten: Seinen Rückzug von den internationalen Konzert-Podien, die Arbeit im Plattenstudio, die aktuellen Projekte im Jahr 1974, im letzten Teil spielt Gould die Bach „Partita Nr. 6“. Ein Jahr lang arbeiteten Monsaingeon und Gould allein am Drehbuch – eine Mischung aus Kunst- und Dokumentarfilm. Die wahren Gould-Fans werden an dieser DVD kaum vorbei können. Zwei Dinge machen das Porträt zu einem derart besonderen Erlebnis: Nicht die nackte Realität wurde abgelichtet, sondern ihre Rekonstruktion. Was damit gemeint ist, wird im zweiten Teil deutlich: Hier wurde eine Aufnahme im Studio inszeniert. Das ging soweit, dass genau festgelegt wurde, an welcher Stelle der „Englischen Suite“ Gould versuchen sollte, eine falsche Note zu spielen. Auf der anderen Seite trifft man hier auch den Menschen Gould: Ganz frei und offen wirken die Gespräche zwischen Monsaingeon und Gould, der seine Interviewpartner sonst auf die Rolle von Stichwortgebern degradierte. Daneben ist der Kanadier mit Stücken von Wagner, Skrjabin, Berg und seinem Lieblingskomponisten Orlando Gibbons immer wieder auch am Klavier zu erleben.
Ladies and Gentlemen, Miss Renée Fleming...: Ellington, Gershwin, Korngold, Mozart, Massenet, Puccini, Rachmaninoff, Strauss u.a.; Regie: Robert Palmer (2002)
Decca/Universal DVD 074 153-9 (122‘)
Glenn Gould – The Alchemist: Bach, Berg, Gibbons, Wagner, Webern u.a.; Drehbuch: Bruno Monsaingeon (1974)
EMI DVD 4901279 (157’)