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Auf DVD: Konsequent und präzise
Auf DVD: Konsequent und präzise
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Ausweglos ineinander verstrickt

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Oper, Ballett, Konzert: DVD-Neuerscheinungen des vergangenen Jahres
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Ob die DVD auf lange Sicht die CD als Medium für Operneinspielungen ablösen wird, lässt sich noch nicht absehen, in jedem Fall aber steigt die Zahl der im Jahresverlauf erscheinenden DVD-Einspielungen kontinuierlich, was freilich auch an den ständigen Wiederauflagen in neuem Gewand liegt. Jüngstes Beispiel ist die vom Magazin „Stern“ herausgegebene Box, die unter dem extrem einfallsreichen Titel „Sternstunden der Oper“ einmal mehr den Arthaus-Katalog mit den mittlerweile hier beheimateten TDK-Scheiben plündert (Näheres unter nmz-Online).

Wenden wir uns also lieber solchen Veröffentlichungen zu, die dem Repertoire, wenn schon keine Raritäten, so doch wenigstens Produktionen hinzufügen, die das Zeug dazu haben, über den Premierenabend hinaus zu wirken. In der Genfer Version von Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ (Oeser-Fassung, BelAir BAC049) ist es weniger Olivier Pys eher oberflächlich anregende, mit viel nackter Haut pseudo-provozierende Inszenierung, die es verdiente, festgehalten zu werden. Staunen macht viel eher die Virtuosität, mit der Patricia Petibon die Koloraturmechanik der Olympia in ihrer Kehle installiert hat, von wo aus sie ihre gnadenlosen Reize entfalten kann. Leider kann aus dem wackeren Ensemble einzig Stella Doufexis als Nicklausse auf diesem schwindelerregenden Niveau mithalten.

Von anderem Kaliber ist da der „Eugen Onegin“, den das Bolshoi-Theater 2008 bei einem Gastspiel in Paris zelebrierte (BelAir BAC046). Dmitri Tcherniakov legt eine Regiearbeit vor, die in ihrer Konsequenz und poetischen Präzision ihresgleichen sucht. Um eine riesige Tafel bürgerlicher Konvention herum gruppiert er ein Personengefüge, das sich mehr und mehr ausweglos ineinander verstrickt. Ohne die Figuren bloßzustellen führt er vor, wie Alltagsmomente zu existenziellen Krisen eskalieren. Phänomenale Sängerdarsteller tragen dieses Konzept bis in die letzte Faser ihrer szenischen Präsenz mit, Tatiana Monogarovas Briefszene ist von erschütternder Intensität, Mariusz Kwieciens Onegin und Andrey Dunaevs Lenski liefern sich ein tödlich absurdes Duell, Dirigent Alexander Vedernikov verwandelt Tschaikowskys Musik in einen Seismographen menschlicher Gefühle – grandios.

Ein weiteres Dokument ersten Ranges ist Pina Bauschs getanzte Annäherung an Glucks „Orpheus und Euridike“ (BelAir BAC044). Ihre schon klassische Version von 1975, die sie 1993 wieder ins Programm nahm, ist nun in einem Mitschnitt von 2008 aus dem Pariser Palais Garnier zu sehen. Die Wuppertaler Compagnie tanzt hinreißend, die Verzahnung mit den teilweise auf der Bühne mitagierenden Sängern trägt der Musik eine weitere Bedeutungsebene zu. Mit dem Balthasar Neumann Ensemble und Chor unter Thomas Hengelbrock steht eine erstklassige Formation den Tänzern zur Seite.

An eine Tanz-Rekonstruktion anderer Art haben sich Ende der 1980er-Jahre Millicent Hodson und Kenneth Archer gewagt. Wie nah sie damit nun tatsächlich an den Kern von Nijinskys originaler Choreografie des „Sacre du Printemps“ herangekommen sind, kann niemand beantworten, fest steht, dass die mitgeschnittene Aufführung des Mariinsky Ballets mehr als eine Ahnung davon vermittelt, wie das epochale Werk auf die Zeitgenossen gewirkt haben dürfte. Gleiches gilt für den choreografisch freilich weit konventionelleren „Feuervogel“ in der Rekonstruktion Anna und Anatoly Nezhnys. Valery Gergiev am Pult des Mariinsky Orchesters entfesselt Strawinskys Bewegungsenergie (BelAir BAC041).

Mit neuen Konzertformen experimentiert seit einiger Zeit die Akademie für Alte Musik Berlin und hebt sich so auch mit ihren DVD-Produktionen wohltuend von den üblichen einschläfernden Konzertmitschnitten ab. Dabei spielt sich in ihrer Umsetzung von Bachs „Kunst der Fuge“ optisch gar nicht so viel Spektakuläres ab. Doch wie die klug von der jeweiligen kontrapunktischen Faktur ausgehenden Besetzungsvarianten vom Solocembalo über kleine Streicherensembles bis zum Tutti mit Bläsern das Riesenwerk in eine innere Schwingung versetzen, das hat Uli Aumüller mit seinen Kameraleuten behutsam und mitatmend festgehalten. Keine trockene Bach-Exegese also, sondern eine Auseinandersetzung im Hier und Jetzt (Arthaus 101 467).

Glenn Gould, den Exzentriker unter den Bach-Exegeten, hat Musikdoku-Großmeister Bruno Monsaingeon immer wieder erhellend ins Bild gesetzt. Mit „Hereafter“ (Ideale Audience) legt er nun eine eher assoziativ schweifende denn prägnant erzählende Retrospektive vor. Viele wertvolle, bisher unveröffentlichte Film- und Tondokumente wollen sich zusammen mit der eher bemühten Einbindung einiger Gouldianer nicht recht zu einem wirklich mitreißenden Gesamteindruck fügen. In jedem Fall aber anregend und auch für Gould-Einsteiger ein erster Appetithappen.
 

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