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 George Benjamin: „Written on skin“
George Benjamin: „Written on skin“
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Britten on skin

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Das Britten-Gedenkjahr hat im vergangenen Jahr auf vielen europäischen Bühnen seine Spuren hinterlassen. Der ohnehin gut in den Opernspielplänen vertretene Orpheus Britannicus des 20. Jahrhunderts wurde ausgiebig wieder- und weiterbesichtigt, wobei nun erfreulicherweise auch einige weniger oft zu sehende Werke und ältere Produktionen den Sprung in die mediale Weiterverwertung via DVD und Blu-ray geschafft haben.

Benjamin Brittens Krönungsoper „Gloriana“ von 1953, eine durchaus auch nachdenkliche Töne anschlagende Huldigung an Elizabeths gleichnamige Amtsvorgängerin, hat sich außerhalb Englands nie durchsetzen können. Die musikalischen Qualitäten, insbesondere die fein gearbeiteten Anspielungen auf die Musik der Renaissance, werden von den dramaturgischen Schwächen des Librettos überlagert. Dass daran auch eine ironische Distanzierung nichts ändert, macht Richard Jones’ Inszenierung deutlich, die auch an der Hamburgischen Staatsoper zu sehen war und nun in der Produktion des Royal Opera House vorliegt. Das eine Laienaufführung der 1960er-Jahre evozierende, naive Illusionstheater zeitigt hübsche Kurzzeiteffekte; wen man aus dem papierenen Personal ernst nehmen soll, bleibt indes unklar. Da Susan Bullock in der Titelpartie leider in exponierten Passagen bisweilen auch stimmlich zur Karikatur tendiert, bleibt das Vergnügen trotz der von Dirigent Paul Daniel beeindruckend aufgefächerten Farbpalette ein zwiespältiges. (Opus Arte OA BD7134 D)

Auf Nummer sicher geht demgegenüber David McVicar mit seinem strengen, optisch reduzierten und damit den kammermusikalischen Tonfall sehr genau treffenden Blick auf Brittens „Rape of Lucretia“. Die beiden antiken Choristen sind szenisch überzeugend eingebunden, dank guter Sängerdarsteller (darunter Sarah Connolly, Christopher Maltman, und John Mark Ainsley) entwickelte sich 2001 – wiederum unter Paul Daniels Leitung – ein packendes Gastspiel der English National Opera (ENO) beim Aldeburgh Fes­tival, dem Zentrum der Britten-Pflege. (Opus Arte OA BD7135 D)

Den spektakulärsten Programmpunkt bildete 2013 in Aldeburgh zweifellos die Freiluftaufführung des „Peter Grimes“. Szenisch ist das mit einer breiten Holzbühne am Strand großartig gelöst, Margaret Williams’ Filmregie bringt mit reizvollen Blickwinkeln zusätzliche Dynamik in das von Tim Albery inszenierte Geschehen. Die anfängliche Faszination verblasst freilich mit zunehmender Spieldauer und die logistische Anstrengung der Unternehmung schlägt nicht dauerhaft in dramatische Intensität um. (Arthaus 108 101)

Brittens letztes Seestück ist seine Thomas-Mann-Adaption „Death in Venice“. Für den Blick in Aschenbachs Innenleben hat er mit den rhythmisch ungebundenen Deklamationen eine ebenso schlüssige Lösung gefunden wie für die Sphäre Tadzios, des Objekts seiner Anbetung und Begierde, der nur als Tänzer agiert. Die Gamelan-Inspiration für die entsprechende Bewegungsmusik geht zwar nicht durchgehend über den vordergründigen Farbenreiz des perkussiv Glitzernden hinaus, dramaturgisch funktionieren die Wechsel jedoch, wie auch die ENO-Produktion aus dem vergangenen Jahr in der zurückhaltend-gediegenen, optisch fast zu schönen Regie Deborah Warners beweist. John Graham-Hall hat in der Hauptpartie für den distinguierten, alternden Herren die perfekte Physiognomie, doch hätte ihm die Regie über die heruntergezogenen Mundwinkel hinaus noch mehr mimische Variabilität entlocken können. Dem darstellerisch sehr präsenten Andrew Shore fehlt es als Dionysos in vielerlei Gestalten ein wenig an Stimmkultur. (Opus Arte OA BD7141 D)

Was die Finesse der Instrumentierung, die dramaturgische Stringenz und die betörende Behandlung der Singstimmen betrifft, so hat sich Brittens Landsmann George Benjamin mit seinem ersten großen Musiktheaterwerk zu einem seiner legitimen Nachfolger entwickelt. Die mit sensationellem Erfolg in Aix-en-Provence uraufgeführte, zwischen Mittelalter und Gegenwart changierende Oper „Written on skin“ (siehe nmz 9/2012) wanderte in der präzisen, vielleicht etwas zu behutsamen Inszenierung Katie Mitchells über diverse europäische Bühnen und ist in der Aufführung aus dem Royal Opera House nun müstergültig mitgeschnitten worden. Barbara Hannigan leistet in der Partie der von einem jungen Buchmaler körperlich wachgeküssten Gutsbesitzersgattin Exemplarisches. (Opus Arte OA BD7136 D)

Einen großartigen Protagonisten hatte auch die letztjährige Produktion von Mussorgskys „Boris Godunow“  an der Bayerischen Staatsoper. Der junge Alexander Tsymbalyuk war der Titelpartie stimmlich auf beeindruckende Weise gewachsen, nur fehlte es ihm – wie auch Calixto Bieitos dauerdüsterer Eurokrisen-Inszenierung – ein wenig an Zwischentönen. Ausgezeichnet ist die Chorleistung und Kent Nagano schärft die Partitur des „Ur-Boris“ präzise an, öffnet mit Mussorgsky hörbar das Tor zur Moderne.(BelAir Classiques BAC102)

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