Gerade ist bei Filmjuwelen Wolfgang Staudtes durchwachsene Wirtschaftswundervision der „Dreigroschenoper“ auf BluRay erschienen. Zum ersten Mal im richtigen Format: CinemaScope. Ein schöner Anlass, auch an all die anderen Versuche zu erinnern, das erfolgreichste Theaterstück der Weimarer Republik in einen Film zu verwandeln: von G.W. Pabsts „Die 3-Groschen-Oper“ bis zu Joachim A. Langs „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“.
Das ist der Mond über Soho …
Zwei große Musiktheaterereignisse prägten das Berlin von 1928: Am 15. Mai fand die Premiere der Kaufhausrevue „Es liegt in der Luft“ von Marcellus Schiffer und Mischa Spoliansky statt und am 31. August folgte Brecht/Weills „Die Dreigroschenoper“. Wenn man will, kann man beide Produktionen als deutsche „Musicals“ betrachten. Während die erste „Show“ noch den Vaudeville-Revuen verpflichtet war, näherte sich „Die Dreigroschenoper“ dem Buch-Musical an, das Ende 1927 mit „Show Boat“ von Oscar Hammerstein II und Jerome Kern ihren ersten Höhepunkt erlebt hatte. Tausend Legenden ranken sich um die legendäre Produktion im Theater am Schiffbauerdamm. Viele der Songs daraus wurden zu Gassenhauern, man pfiff sie, sang sie oder spielte sie zum Fünf-Uhr-Tee in den mondänen Hotels. Brecht/Weills „Songs“ lieferten den Soundtrack zur späten Weimarer Republik wie Friedrich Hollaenders Chansons aus dem „Blauen Engel“ oder Werner Richard Heymanns Tonfilmoperettenschlager. Auch wenn die Macher das angeblich nicht beabsichtigt hatten.
Als „Triumph eines neuen Stils“ propagierte bereits im Januar 1929 die Universal Edition das politische „Stück mit Musik“. Im selben Jahr nahm Bertolt Brecht mit seiner knarzenden Stimme „Die Moritat von Mackie Messer“ selbst auf Platte auf, begleitet von Theo Mackeben, der auch schon bei der Premiere dabei gewesen war. Es war Kurt Gerron, der im Theater am Schiffbauerdamm die „Moritat“ zum ersten Mal gesungen hat. Einer der wichtigsten „Chargen“ des Weimarer Kinos und Friedrich Hollaenders „Nachtgespenst“, der 1944 von den Nazis in Auschwitz ermordet wurde. Zu dieser Zeit lebte Bertolt Brecht im amerikanischen Exil und schrieb Drehbücher für Anti-Nazi-Filme wie Fritz Langs „Hangmen Also Die“.
Fremdes Medium
Dabei war ihm das Medium seit seinen Erfahrungen mit der Verfilmung seiner „Dreigroschenoper“ immer fremd geblieben. Davon erzählte auch ein Film von Joachim A. Lang, der 2018 ins Kino kam: „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“. Lars Eidinger gab den Brecht, Robert Stadlober spielte den Weill und Tobias Moretti war der Mackie Messer in dieser „Vision“ der „Dreigroschenoper“, die pendelt zwischen „Babylon Berlin“ und „La La Land“. Eine Art Musical, das inspiriert ist von Brechts „Dreigroschenprozess“ gegen Seymour Nebenzahls Filmversion und Brechts eigener „Vision“ des Stoffs. „Mackie Messer“ ist ein sehr vielschichtiges Zeitbild, das allerdings fast zu überladen scheint mit „Facts“. Ein originelles filmisches Experiment, das manchmal zu scheitern droht an der Fülle des Materials.
Zur Einstimmung sollte man sich unbedingt den Film ansehen, um den sich hier alles dreht und der doch in diesem „Zeitbild“ nur im Schatten steht: G.W. Pabsts „Die 3-Groschen-Oper“ von 1931 (erschienen bei Atlas Film). Gegenstand des „Dreigroschenprozesses“ und Klassiker des Weimarer Kinos. Pabst verwandelt den Stoff – entgegen Brechts Intention! – in ein Melodram, das anschließt an seine beiden Meisterwerke mit Louise Brooks. Als „unfilmisch-theatralische Verkitschung“ hat „Die Rote Fahne“ den Film verurteilt. Rudolf Arnheim hat in der „Weltbühne“ genauer hingesehen: „Die charmante Süße Kurt Weills Musik, der adlige Tänzer Rudolf Forster, der Melone und Spazierstöckchen wie Insignien der Schauspielkunst trägt, die geschmeidig gleitende Kamera, die den Schauplatz der Handlung in lautlose Drehung versetzt und ihm dadurch aufs Glücklichste eine märchenhafte Unwirklichkeit verleiht; das benebelnde Perspektivenspiel gespenstisch vergitterter Innenräume, beängstigender Treppen, traumhaft komplizierter Fensterdurchblicke, der ironische Kitsch des Vollmondes und klagender Liebeslieder … – man lasse sich das nicht entgehen!“.Vorzüglich auch das weitere Ensemble: Ernst Busch, Reinhold Schünzel, Valeska Gert, Carola Neher und Lotte Lenya, die das „Schiff mit acht Segeln“ besingt. In der französischen Fassung verkörperte übrigens Margo Lion die „Seeräuber-Jenny“. Im August 1933 wurde der Film von den Nazis verboten. Aus der Begründung: „In einer Zeit, in der die Nationale Regierung bemüht ist, das Übel der Unterweltorganisationen mit Stumpf und Stiel auszurotten, ist ein Bildstreifen, der eine so gefährliche Glorifizierung des Verbrechertums enthält, geeignet, dieser Absicht des neuen Staates entgegenzuwirken und damit lebenswichtige Interessen des Staates zu gefährden.“ Anders gesagt: die Nazis duldeten keine Konkurrenz.
The Threepenny Opera
Bereits im April 1933 fand die Premiere der amerikanischen Fassung von „The Threepenny Opera“ in New York statt. Nach zwölf Vorstellungen verschwand sie aber wieder vom Spielplan. Anfang der 1950er-Jahre entstand eine Neufassung von Marc Blitzstein, die zuerst 1952 konzertant mit Leonard Bernstein aufgeführt wurde. 1954 schließlich entwickelte sich „The Threepenny Opera“ im New Yorker Theatre de Lys zum Langläufer. Für ihre Darstellung der Jenny erhielt Lotte Lenya einen Tony Award. 1956 spukte „Mack The Knife“ in verschiedenen Fassungen in den US-Charts herum. Zusammen mit Louis Armstrong nahm die Lenya sogar eine Duettversion auf. Weills Witwe war es auch, die 1959 versuchte, den Atlantic-Boss Ahmet Ertegun zu überreden, mal einen Weill-Song zu produzieren. Anfangs war Ertegun davon nicht begeistert, aber als ihm sein Schützling Bobby Darin erzählte, dass er jetzt auch als Crooner auftreten wolle, sagte er zu. Der Rest ist Popgeschichte: Bobby Darins „Mack The Knife“ entwickelte sich 1959 zum Hit des Jahres in den USA.
Mitte der 1950er-Jahre gab es in Deutschland eine Wiederaufführung des Pabst-Films. Und plötzlich sprach man von einem Remake. Im Gespräch waren anfangs Helmut Käutner und Rolf Thiele. Bereits 1959 hatte der Produzent Kurt Ulrich für seinen „Dreigroschenoper“-Film Giulietta Masina verpflichtet. Aber es sollte noch einige Jahre dauern, bis endlich unter der Regie von Wolfgang Staudte mit Curd Jürgens eine „moderne“ Fassung entstand. Für vier Millionen Mark inszenierte Staudte seine – im Rückblick: putzige – Wirtschaftswunderversion der „Dreigroschenoper“. Auf Anregung der Lenya übernahm Peter Sandloff die Rolle des Arrangeurs. Und Sandloff „verwässerte“ Weills Musik, wie es dem Zeitgeschmack entsprach. Plötzlich klangen Weills Songs mehr nach Operette light. Heraus sticht zumindest Sammy Davis’ Version des „Mack The Knife“ (für die verstümmelte US-Version, die es hier im reichhaltigen Bonuspaket gibt) und Hildegard Knefs eigenwillige Version der Jenny. Im Film erinnert ihre Darstellung mehr an ihre Gräfin Geschwitz in Rolf Thieles „Lulu“-Verfilmung als an die Lenya bei Pabst.
Aber auf Platte verwandelte die Knef 1963 den „Macky-Messer“ in Deutschland in einen Hit, der perfekt zu ihrem Ganovenlied „Er hieß nicht von Oertzen“ passte. Wolfgang Staudte, der im Rückblick unglücklich war mit seiner „Dreigroschenoper“-Verfilmung, fühlte sich ein paar Jahre später sichtlich wohler mit der Klamotte „Ganovenehre“. Eine unambitionierte „Überschreibung“ der „Dreigroschenoper“ – ohne Brecht und Weill.
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