Als vor ein paar Jahren im Berliner Filmmuseum eine Martin-Scorsese-Ausstellung präsentiert wurde, konnte man dort auch einen Karteikasten entdecken mit all den Songs, die Marty in seinen Filmen seit den späten 60ern intelligent eingesetzt hat. Anlässlich des Filmstarts seines neuesten Werks „Silence“ (über die Verbindung von Religion und Macht) ein Blick zurück auf ein halbes Jahrhundert Scorsese-Kino.
Schon Scorseses Debütfilm, der 1967 in Chicago seine Premiere hatte, trug den Titel eines Popsongs: „Who’s That Knocking At My Door?“. Eine obskure Doo-Wop-Nummer von den „Genies“ war gewissermaßen der Türöffner gewesen in das musikalische Universum des Italo-Amerikaners. Motive aus John Fords „The Searchers“ hatte Scorsese in sein New Yorker Little Italy verlegt und mit Songs aus der Jukebox untermalt. Wie später dann noch virtuoser in „Mean Streets“, in dem er ganze Räume mit Motown- und Stones-Songs orchestriert. Als Vorläufer gewissermaßen kann sein Kurzfilm „The Big Shave“ gelten. Es war sein masochistischer Kommentar zum Vietnam-Krieg gewesen: ein Mann rasiert sich vor einem Badezimmerspiegel zu den Klängen des Vernon-Duke-Klassikers „I Can’t Get Started“ blutig. Am Ende verletzt er sich auch noch die Halsschlagader und das Insert „Vietnam 67“ wird eingeblendet.
Aber all das war nur der Auftakt zu einer grandiosen Karriere, die 1976 mit „Taxi Driver“ so richtig in Schwung geriet. Mit „Taxi Driver“ beginnt übrigens auch die großartige Kompilation „The Cinema of Martin Scorsese“, die bei Universal Frankreich erschienen ist. Und die einen Überblick präsentiert über die Soundtracks bis zu „The Wolf Of Wall Street“. Als Lektüre dazu empfiehlt sich der essenzielle Band „Martin Scorsese: Die Musikalität der Bilder“ (Text + Kritik). Zum ersten Mal arbeitete Scorsese bei „Taxi Driver“ mit einem Filmkomponisten zusammen. Es war Hitchcocks Hauskomponist Bernard Herrmann, der am letzten Tag der Aufnahmesessions Weihnachten 1975 plötzlich starb. Es war Herrmanns düster-melancholische Großstadtmusik, die viel zur untergründigen Atmosphäre des Films beitrug. Anfang der 90er hat dann Scorsese noch einmal auf Herrmann zurückgegriffen. Für sein Remake von „Kap der Angst“ ließ er von Elmer Bernstein den kompletten „Cape Fear“-Score von Herrmann neu einspielen. Bis heute ist übrigens der Original Soundtrack aus den Sixties noch nicht offiziell auf CD erschienen. So bleibt diese Neueinspielung bis heute mustergültig.
Elmer Bernstein hat sich damals übrigens zu einem der Hauskomponisten von Scorsese entwickelt. Seine musikalische Handschrift prägte den Titelwalzer von „Age Of Innocence“ genau so wie den düsteren Score zu „Bringing Out The Dead“. Tragischerweise wurde Elmer Bernsteins großartige Filmmusik zu „The Gangs Of New York“ nicht mehr verwendet. Auf dem Universal-Sampler gibt es einen Ausschnitt daraus. Nach „Taxi Driver“ schrieb Scorsese 1977 mit „New York, New York“ erneut Filmmusikgeschichte. Das altmodische Filmmusical war eine fast größenwahnsinnige Hommage an das Genre, an Judy Garland und ihren Mann Vincente Minnelli.Marty verkuppelte dazu im Film seinen „Taxi Driver“ Robert De Niro, der jetzt zum Saxophonspieler geworden ist, mit Judy Garlands Tochter Liza Minnelli, die im Film natürlich auch „The Man I Love“ singen darf. Der Film wurde zum Flop, weil er damals wohl nicht mehr so richtig in die letzten New-Hollywood-Jahre gepasst hat. Und das obwohl dafür das „Cabaret“-Team einige neue Songs geschrieben hat, darunter den Titelsong, den Liza Minnelli mit großartiger Power sang. Irgendwie nahm aber damals kaum jemand Notiz von diesem Song.
Erst ein paar Jahre später nahm ihn auch Frank Sinatra ins Repertoire und machte ihn zum letzten Hit seiner Karriere, die in den späten 30er-Jahren begonnen hatte. „New York, New York“ wurde zur inoffiziellen Hymne der „Stadt, die niemals schläft“. Und leider auch zu Tode gedudelt von einfallslosen TV-Redakteuren, die ihre New-York-Specials, Modesendungen und Kochsendungen mit genau diesem Song glaubten aufmotzen zu müssen. Der Film freilich wurde in den letzten Jahren wieder entdeckt und zählt inzwischen zu den großen unterschätzten Meisterwerken der 70er-Jahre. Ein großes Musiker-Melodrama über einen weiblichen „Workaholic“, der sehr an Scorsese selbst erinnert. Gewissermaßen ein Selbstporträt, das auch als Vorläufer gesehen werden kann für Bob Fosses „All That Jazz“.
Seit den 80ern, seit „Raging Bull“, pulsieren Scorseses Jukebox-Filme unglaublich heftig. Zusammen mit dem Schnitt seiner kongenialen Schnittmeisterin Thelma Schoonmaker geben die Songs in den Mafia-Epen „Goodfellas“ und „Casino“ den fiebrigen Rhythmus seiner Protagonisten vor. Manchmal ist das kaum zu ertragen. Alles wird hier untergründig mit Soundfetzen und Songzeilen hysterisch kommentiert. Die Filme sind wirklich aufgeladen mit diesen Tonspuren. In „Shutter Island“ gelingt Scorsese sogar das Kunststück, durchdacht das Repertoire der „Neuen Musik“ für seine Zwecke zu plündern. Wie die Filme, die der Cinephile bis heute täglich verschlingt und analysiert, scheinen diese Musiken zu seinem Lebenselixier zu gehören.