Kurz vor Weihnachten, am 19. Dezember 2009, starb Aljoscha Zimmermann, einer der wichtigsten Stummfilmkomponisten Europas. Er hinterlässt eine kleine, aber feine Fangemeinde, die weltweit um ihn trauert. Geboren 1944 in Riga, war der Musikprofessor 1973 nach Deutschland emigriert. Über den Umweg Berlin, wo er als Ballettmusiker arbeitete und die Hollaender-Muse Blandine Ebinger begleitete, war er in den frühen achtziger Jahren nach München gekommen. Dort hatte ihn 1988 der damalige Chef des Münchner Filmmuseums, Enno Patalas, für das Kino „entdeckt“. Mit dem legendären „Panzerkreuzer Potemkin“ ging es seinerzeit los. Bald entwickelte sich Aljoscha Zimmermann zum musikalischen Herz des Filmmuseums. Rund 500 Partituren für Stummfilme sollten in den folgenden zwei Jahrzehnten folgen.
Ich erinnere mich noch gut daran, als ich in den frühen neunziger Jahren regelmäßig nach München „pilgerte“, um den großen Meister zu hören, der wie kein zweiter Stummfilmmusiker das Kino jener Zeit verstand. Zimmermann hauchte den Klassikern am Klavier tatsächlich neues Leben ein. Weil er mit den längst verstorbenen Regisseuren Lubitsch, Lang oder Murnau Kontakt aufnahm, auf eine sehr analytische Weise, versteht sich. Er studierte Bücher über seine Helden und ihre Zeit, die künstlerisch so „goldenen“ zwanziger Jahre. Zimmermann war ein „Materialist“, er sammelte alles Material, das er bekommen konnte. Stundenlang konnte er über Sequenzen von Lubitsch schwärmen, der doch so musikalisch gewesen sei. Den Traum des UFA-Produzenten Erich Pommer, der schon während der Stummfilmzeit an eine „Musikalisierung“ des Kinos dachte, träumte Aljoscha Zimmermann weiter. Er war wie einer der Pianisten, die schon während der Dreharbeiten den Rhythmus für die einzelnen Szenen im Stummfilm vorgaben. Ihr Spiel am Klavier verlieh oft den Filmen ihren so eigenen Schwung, lange bevor der Stummfilmpianist das Geschehen auf der Leinwand nur noch kommentieren konnte. Dabei verstand sich Zimmermann immer als musikalischer Mittler zwischen der Kino-Avantgarde der Roaring Twenties und den Sehgewohnheiten der Gegenwart, wie man auch in einer schönen Dokumentation über den Musiker, „When Silence Sings“ sehen kann. Als Komplize der alten Meister führte er uns in die filmische Vergangenheit zurück, die doch so gegenwärtig ist, wie zuletzt die restaurierten Fassungen von Fritz Langs „Metropolis“ und „Nibelungen“ bewiesen. Bis zuletzt verstand er sich als Diener seiner Herren. Noch im Dezember 2009 nahm er zusammen mit seiner Tochter Sabrina und einem Pianisten seinen allerletzten Score auf, zu einem lange als verschollen gegoltenen Fritz-Lang-Film: „Kämpfende Herzen“. Von seiner Krankheit gezeichnet, konnte er leider nur noch einen kleinen Klavierpart selbst übernehmen.
Aljoscha Zimmermann hinterlässt eine große Lücke in der Stummfilmszene, die schwer zu füllen sein wird. Sein musikalisches Erbe aber wird weitergepflegt werden, von seiner Tochter und „Schülerin“ Sabrina Hausmann und dem Pianisten Mark Pogolski. Sie werden in diesem Jahr auf diversen Stummfilmfestivals auch Zimmermanns „Metropolis“-Score präsentieren. Wer Lust hat, das filmmusikalische Schaffen Zimmermanns genauer zu studieren, dem sei eine kleine Auswahl von DVDs empfohlen. Kurz vor seinem Tod erschien in der großartigen „Edition Filmmuseum“ seine Version von Pabsts „Die freudlose Gasse“. Die göttliche Garbo und Asta Nielsen im Wien der zwanziger Jahre. Klassisches Inflationskino, von Zimmermann musikalisch illuminiert. Schon vorher waren in der nicht genug zu lobenden, vorbildlichen Edition der „Kulturfilm“ „Wunder der Schöpfung“ erschienen, der das damalige „Wissen der Welt über die Erde und das Weltall“ zusammenfasste, sowie Manfred Noas wunderbare „Nathan der Weise“-Verfilmung. Allesamt wurden unter der Leitung von Stefan Drößler im Münchner Filmmuseum vorbildlich restauriert.
Bei Transit-Film, die im Auftrag der Murnau-Stiftung Klassiker des deutschen Films kommerziell auswertet, gibt es zwei unentbehrliche Boxen mit Filmen von Zimmermanns größten Helden: Ernst Lubitsch und Fritz Lang. So wie Ernst Lubitsch in Deutschland die Filmkomödie „erfand“ und in Hollywood das Filmmusical, so schuf Fritz Lang mit seinen „Dr. Mabuse“-Filmen in der Weimarer Republik den Kriminalfilm. In beiden Fällen folgt Zimmermann seinen Meistern, tänzerisch Lubitschs „Austernprinzessin“ und düster dem schurkischen Dr. Mabuse. Wer das Kino liebt, das nicht erst mit Tarantino begonnen hat, sollte sich diese Boxen oder „Die freudlose Gasse“ unbedingt zulegen. Und für jeden Stummfilmpianisten sind diese DVDs sowieso ein „must“. Kann er hier doch studieren, wie man sich den alten Meistern nähert, ohne in alte „Kinotheken“-Routine zu verfallen.