„Mehr davon!“, war man geneigt, den Machern nach den ersten beiden Boxen der DVD-Serie „Jazz Icons“ zuzurufen (neue musikzeitung 11/06, Jazzzeitung 1/08). Und sie haben den Ruf erhört: Folge drei der Edition liegt nun vor, ohne dass Qualitätsabstriche zu verzeichnen wären. Die Schätze aus europäischen Fernseharchiven sind wohl noch längst nicht vollständig geborgen.
Besonders reich beschenken uns wieder die Skandinavier, wo ein Großteil der nun veröffentlichten Studio- oder Livemitschnitte entstanden ist. Das Highlight der neuen Box kommt dabei zweifellos vom Oscar Peterson Trio. Was der Gottvater des bluesgesättigten Swing zwischen 1963 und 1965 mit seinen großartigen Partnern Ray Brown und Ed Thigpen vom Stapel ließ, dürfte an virtuosem Spielwitz, konzentrierter Lässigkeit und rhythmischem Drive schwer zu toppen sein. Vor allem das nikotinumflorte, klanglich leider etwas stumpf konservierte Konzert im Holbaeker Jazzclub 1964 versetzt den Zuschauer in eine angenehme Mischung aus ehrfürchtigem Staunen und Dauergrinsen.
Da macht Peterson sich mit einem, Chopins f-Moll-Etüde op. 10 heraufbeschwörenden Intro auf den Weg, um dann wie zufällig „On Green Dolphin Street“ zu landen, Bernsteins „Tonight“ wird der Musical-Schmalz mit ordentlichem Tempo gehörig ausgetrieben, das unterkomplexe Zwei-Noten-Thema des „C-Jam Blues“ bekommt eine herrliche Einleitung verpasst und in einer wahrhaft weltumspannenden „Hymn to Freedom“ gipfelt ein denkwürdiges Set, dem Ray Brown mit seinem grandiosem Solo zu „Bag’s Groove“ einen weiteren Höhepunkt beschert. Wem das nicht reicht, der bekommt zum Einstieg in den finnischen Mitschnitt des Folgejahrs ein „Dein ist mein ganzes Herz“ serviert, dem Léhar schon aus Geschwindigkeitsgründen wohl kaum gefolgt sein dürfte. Aberwitzig.
Weniger leichtfüßig, aber nicht minder faszinierend die bisher beste Vokal-DVD der Serie: Nina Simone zelebrierte ihre Konzerte als Manifeste für die Rechte der Schwarzen, blieb in den hier festgehaltenen Auftritten von 1965 und 1968 aber dennoch auf die Musik fokussiert. Immer wieder versenkt sie sich meditativ in die am Klavier fabelhaft ausgebreiteten Ostinati und steigert sich zu stimmlich kontrollierten, vor Intensität aber berstenden Textexegesen. Bei Titeln wie „Four Women“, „Don’t let me be misunderstood“ und natürlich „Mississippi Goddam“ überrascht das nicht weiter, wie sie aber Charles Aznavours „Tomorrow is my turn“, vor allem aber Bob Dylans „The Ballad of Hollis Brown“ auflädt, macht Staunen. Dass Nina Simone andererseits keine humorlose Interpretin war, zeigt aufs Köstlichste das auf eine irische Volksweise zu singende „Go Limp“. Sogar das Publikum darf Mitmachen.
Einen erheblichen Mehrwert bringt der optische Eindruck auch im Falle des eigenwilligen Multiinstrumentalisten Rahsaan Roland Kirk. Im Alleingang stemmt er mit seinen drei Saxophonen einen kompletten Bläsersatz – „Three for the Festival“ ist hier das Paradestück (schöne Detailaufnahmen der Fingersätze), am ergiebigsten ist aber sein ganz eigenständiges Flötenspiel, mit dosiert eingesetzten Überblasungen und viel Gefühl für die zerbrechliche Klanglichkeit im Balladenkontext.
Weniger Freude macht in dieser Hinsicht Yusef Lateef, der sich – von Bandleader Cannonball Adderley immer wieder als Solist hervorgehoben – auch an der Oboe versucht. Cannonball erweist sich in diesen nicht ganz so vitalen Aufnahmen als uneitler Teamspieler, der Lateef und seinem Bruder Nat an der Trompete viel Freiraum bietet. Immer wieder beeindruckend auch die Kollektivkraft in den Ensemblepassagen und Begleiteinwürfen zu den Soli.
Etwas enttäuschend fällt die Big-Band-DVD aus: Lionel Hamptons fantastisches Vibraphon-Spiel geht zwischen den zahllosen Showeinlagen fast unter, die Blicke der (gleichwohl erstklassigen) Bandmitglieder bei seinem trommelakrobatischen „Sticks Ahoy“ sprechen Bände darüber, was es in dieser Zeit (1958) hieß, Abend für Abend Hamptons Stimmungskanonaden sekundieren zu müssen.
Zwei weitere Scheiben erlauben schließlich einen faszinierenden Blick auf die Entwicklung von Musikern und Ensemblekonstellationen: So steigert sich die Intensität und Kommunikationsfreiheit von Bill Evans’ Spiel in dem Moment eklatant, als der grandiose Eddie Gomez seinen Bass ins Trio-Spiel bringt (1970).
Und Sonny Rollins ist vor und nach seiner legendären schöpferischen Pause von 1960 zu erleben. Hierzu braucht man allerdings neben der Rollins-Scheibe selbst die Bonus-DVD mit den Mitschnitten von 1959, die nur im Komplettpaket erhältlich ist: Bei seinem Soloeinstieg in „Love Letters“ lässt er sich noch von Rimsky-Korsakovs „Sheherazade“ an der Hand nehmen, sechs Jahre später ist er selbst zum brillanten Geschichtenerzähler gereift.
Naxos 2.1190-08 (Kirk), -09 (Adderley), -10 (Peterson), -11 (Rollins), -12 (Hampton), -13 (Evans), -14 (Simone); 2.108002: Komplettbox mit Bonus-DVD (Rollins, Kirk, Simone)