Zu den Höhepunkten des vergangenen Kinojahres gehört zweifellos „Heart of Gold“. Was auf den ersten Blick „nur“ ein weiterer Konzertfilm mit Neil Young ist, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als pures Kino und klassische Americana. Schon der Schauplatz ist ein mythischer Ort, den Robert Altman schon Mitte der siebziger Jahre besungen hat: Nashville, das hass-geliebte Country-Music-Mekka. Lange vor den oft zitierten „Short Cuts“ entwickelte Altman zum amerikanischen Bicentennial in „Nashville“ für zwei Dutzend Protagonisten ein hochkomplexes Erzählgeflecht, das zum „Blueprint“ wurde für unzählige Filme wie etwa „Magnolia“. Jonathan Demme, der Regisseur von „Das Schweigen der Lämmer“, geht nun den anderen Weg: In einer Person verdichtet er die Geschichte Amerikas seit den Anfängen. Dabei ist es nicht ganz ohne Ironie, dass sein Held Neil Young 1945 im kanadischen Toronto geboren wurde.
Schon in den ersten Minuten – noch vor dem eigentlichen Konzert im Ryman Auditorium – beschwört Jonathan Demme den Geist von Nashville: an einer Häuserfassade sehen wir das Konterfei von Hank Williams. Irgendwann während des Konzerts wird Neil Young Hanks „old guitar“ auspacken. Wie einen Fetisch wird Neil Young dieses Instrument behandeln – und einen Moment lang wird Hank wieder in die Grand Old Opry, die er in den frühen Fifties zum ersten Mal betreten hatte, zurückkehren, ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod. Ohne Pathos, fast beiläufig ist dieser magische Moment, der zwei „drifting cowboys“ miteinander verbindet.
Die erste Hälfte des Konzerts gehört den Songs aus dem damals gerade veröffentlichten „Prairie Wind“-Album. Zusammen mit seinen alten Weggefährten aus „Harvest“-Zeiten singt er inbrünstig die neuen Lieder, die man schon seit einer Ewigkeit zu kennen glaubt. Aus einer anderen Zeit scheinen diese zu stammen, aus der Prä-MTV-Ära, als die „Cuts“ noch nicht den Rhythmus vorgaben. Unglaublich lässig, fast unsichtbar, filmt Demme Neil Youngs Auftritt. Aus dem Bonusmaterial erfahren wir, dass Demme tagelang proben ließ, damit sich die Musiker an die acht Kameras gewöhnen konnten, die sie während des Konzerts beobachten sollten. Für jeden Song hat Demme bereits während der Proben eine Vision entworfen. Grandios ist Demmes Entscheidung, das Publikum während des Konzerts nicht zu zeigen und die einzelnen Songs durch Abblenden zu trennen.
Weil man auf dieser Doppel-DVD noch als Zuckerl einen Ausschnitt aus der „Johnny Cash Show“ von 1971 hinzugefügt hat, bietet sich ein Song zum optischen Vergleich an: „The Needle And The Damage Done“ aus dem „Harvest“-Album. Wie ein Junge, der am Lagerfeuer singt, wirkt bei Cash der langmähnige Neil Young, der umringt wird von seinen Fans im CBS-Studio. Ein Pop-Hippie für das Pantoffelkino. Demme inszeniert Young dagegen am rechten Rand der abgedunkelten Bühne. Im Spotlight erscheint Young, dessen Gesicht nicht zu erkennen ist, als pure Ikone. Der ewige Sänger singt das alte Lied. Weit geht Demmes Inszenierung hinaus über das, was Jim Jarmusch mit Neil Young in „Year of the Horse“ machte. Selten sah man eine solch konzentrierte Inszenierung eines Pop-Konzerts im Kino. Auf der Paramount-DVD geht davon wegen des Formats (1.85:1) natürlich etwas verloren. Die in diesem Fall so wichtigen Bildinformationen am Rande verschwinden im Nirwana. Dafür werden wir mit einer Fülle von Bonusmaterial entschädigt, darunter ausführliche Informationen zu den Vorbereitungen für den Konzertfilm.
Fritz Göttler zählte „Heart of Gold“ in der „SZ“ zu Recht zu den „magic moments“ des vergangenen Kinojahres: „Amerikanische Geschichte und amerikanische Gegenwart, zusammengebracht im homespun movie, im Country-and-Western-Kino. Manchmal erinnert die Truppe auf der Bühne an die Götter des Olymp. Im letzten Song ist Neil Young ganz bei sich, hat alle Zeit der Welt.“
Neil Young – Heart of Gold (Regie: Jonathan Demme); Paramount (1 DVD)