Hauptbild
Das Messer im Wasser.
Das Messer im Wasser.
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Der Mann, der Polanskis Kinoträume orchestrierte

Untertitel
Eine Erinnerung an den polnischen Jazz- und Filmkomponisten Krzysztof Komeda
Publikationsdatum
Body

Zu den großen Unbekannten der Filmmusikwelt gehört ein Komponist, den es in den 1960ern von Warschau nach Hollywood verschlagen hat: Krzysztof Komeda. Zusammen mit Roman Polanski bildete er ein „perfect match“, wie Rota & Fellini, Mancini & Edwards oder Herrmann & Hitchcock. All ihre gemeinsamen Filme gingen unbewusst auch in die Ohren, obwohl dem großen Publikum mit Ausnahme von Henry Mancini, der zur Marke geworden ist, die Namen all dieser Musiker gar nicht geläufig waren. Aber die Filmemacher wussten genau, was sie an ihren Hauskomponisten hatten, sie verliehen ihren Filmen einen ganz spezifischen Sound.

Ein Jahrzehnt lang, bis zu einem frühen Tod im Alter von 37 Jahren, orchestrierte Komeda fast alle frühen Meisterwerke von Roman Polanski, von „Das Messer im Wasser“ über „Tanz der Vampire“ bis zu „Rosemary’s Baby“. Nur die Musik zu „Ekel“ stammte von einem anderen Jazzkomponisten, Chico Hamilton. Schon in den späten 50ern hatten sich Polanski und Komeda kennengelernt. Gemeinsam entstand an der berühmten Filmhochschule in Lodz eine Reihe von bizarren Kurzfilmen, der gemeinsame Durchbruch kam 1962 mit Polanskis erstem abendfüllenden Spielfilm „Das Messer im Wasser“ – mit einem reinen Jazz-Score. Jazz im Kino war in dieser Zeit nach dem sinfonischen „Golden Age of Film Music“ das große Ding gewesen.

Wir erinnern uns: Angefangen hatte diese fiebrige Liaison des Jazz mit dem Kino 1957, als Miles Davis in einem Pariser Studio live zu den Bildern auf der Leinwand den Soundtrack zu Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“ einspielte. Über Nacht gaben sich danach in den Pariser Filmstudios amerikanische Musiker wie Art Blakey, Stan Getz oder John Lewis die Klinke in die Hand. Mit Martial Solals Musik zu Godards „Außer Atem“ schließlich erreichte die Entwicklung 1959, am Anfang der Nouvelle Vague ihren ersten Höhepunkt. Damals drehten Polanski und Komeda in Polen noch ihre gemeinsamen Kurzfilme. Aber in seiner Heimat war Komeda kein Unbekannter mehr.

Schon in den späten Fifties war er ein Star der Jazzszene geworden. Martin Kunzler meint in seinem „Jazz-Lexikon“ sogar: „Der frühe Durchbruch des Jazz in Polen ist fast ausschließlich das Verdienst Komedas, eines Künstlers, der schon in den 50er-Jahren pianistisch und kompositorisch auf hohem Niveau eine an John Lewis und am frühen Miles Davis orientierte, jedoch eindeutig europäisch geprägte Konzeption verfolgt hatte.“ Und dieser so europäisch geprägte coole Jazzsound erklang dann auch in Polanskis Thriller „Das Messer im Wasser“, der 1963 als Bester Ausländischer Film für den Oscar nominiert wurde.

Nach dem großen Erfolg von „Tanz der Vampire“, der wie „Ekel“ und „Wenn Katelbach kommt“ in England entstanden war, lud der damalige „Paramount“-Boss Robert Evans im Sommer 1967 Polanski nach Hollywood ein. Evans gab ihm dabei die Druckfahnen eines neuen Romans von Ira Lewin zu lesen: „Rosemary’s Baby“. Polanski war von dem Horrorplot so gefesselt, dass er ihn in einer einzigen Nacht durchlas. Am nächsten Tag unterschrieb er den Vertrag. „Rosemary’s Baby“ – mit Mia Farrow und John Cassavetes – wurde Polanskis größter Box-Office-Hit. Wie schon in „Ekel“ ist auch in „Rosemary’s Baby“ die Einsamkeit der Protagonistin und ihre gestörte Beziehung zu ihrer Umwelt das Hauptmotiv der Story. Das Grauen erwächst langsam aus der scheinbar normalen Alltagswelt des modernen Großstadtlebens, das den Nährboden für Angst, Entfremdung und Paranoia bildet. Für „Rosemary’s Baby“ holte Polanski seinen Freund Komeda schließlich nach Hollywood. Der Komponist schrieb für diesen Horrorfilm seinen besten Score. Eine pulsierende Albtraummusik par excellence: Ein gleichbleibender Cluster-Sound wird dabei immer wieder von flüsternden Stimmen übertönt.

Das Traumteam Polanski/Komeda war in Hollywood angekommen. Es hätte ewig so weitergehen können. Aber im Winter 1968/69 verunglückte Komeda beim Skifahren in den USA. Er erlangte nicht mehr das Bewusstsein. Am 23. April 1969 erlag Komeda seinen Verletzungen, 4 Tage vor seinem 38. Geburtstag. Ein schwerer Schicksalstag für Polanski, doch es sollte noch schlimmer kommen. Am 9. August 1969 erreichte ihn ein Anruf, dass seine Frau Sharon Tate und vier weitere Freunde in seiner Hollywood-Villa ermordet worden seien.

Als fast drei Jahrzehnte nach Komedas Tod der polnische Trompeter Tomasz Stanko dem Ausnahmemusiker ein ganzes Jazzalbum gewidmet hatte, fasste Polanski die Qualitäten seines viel zu früh gestorbenen Freundes noch einmal zusammen: „Seine Musik war kühl und modern, aber in ihr schlug ein warmes Herz. Er war ein Filmmusiker par excellence. Komeda gab meinen Filmen Wert. Sie wären wertlos ohne seine Musik.“

CD-Tipp: Die CD-Box „Jazz in Polish Cinema“ (Jazz on Film Records) vermittelt einen vorzüglichen musikalischen Überblick über das polnische Schaffen Komedas und seines Kollegen Andrzej Trzaskowski.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!