Wenige Tage nach dem Erscheinen seiner letzten Platte „Blackstar“ hat der ewige „Spaceman“ David Bowie die Erde wieder verlassen. Über vier Jahrzehnte lang gehörte er zu den eigenwilligsten Erscheinungen des Pop. Bowie war der große Verwandlungskünstler des späten 20. Jahrhunderts, den sich ein Oscar Wilde im 19. Jahrhundert ausgedacht haben könnte. Und er war der „Blueprint“ für weibliche Performancekünstler wie Madonna, Björk oder Lady Gaga.
David Bowie war das, was man einen „schönen Mann“ nennen kann. In den frühen Sixties, als unser androgyner Held noch als „Davie Jones & The King Bees“ rumtingelte, hat Susan Sontag ihren legendären Essay „Notes on Camp“ veröffentlicht und darin gewissermaßen diesen Typen schon genau auf den Punkt gebracht: „Das Androgyne ist gewiß eines der anziehendsten Images für sensibilisierte Außenseiter. Beispiele: die fahlen, schlanken, sündigen Figuren in prä-raphaelitischen Bildern und Gedichten; die dünnen, fließenden, geschlechtslosen Körper in Drucken und Statuen der Art Nouveau … die unheimliche androgyne Leere hinter der perfekten Schönheit einer Greta Garbo.“
Ein knappes Jahrzehnt später verwandelte sich Bowie dann selbst in eine Art Pop-Garbo, die er Ziggy Stardust nannte. Sein Jugendidol Anthony Newley, dem er mit „The Laughing Gnome“ noch nachgeeifert hatte, war längst abgelöst worden von Ikonen wie Bob Dylan und Andy Warhol, denen er in Songs huldigte. Er hatte seinen eigenen Doppelgänger erschaffen, aus einer „spontanen Vision“ heraus, wie er viel später zu Protokoll gab. Ein außerirdisches Zwitterwesen für die Glam-Rock-Zeit, als Marc Bolan und Roxy Music die Hitparaden aufmischten. Nach der Show am 8. Juli 1972 in der Londoner Festival Hall titelte der „Melody Maker“: „A Star is born“.
Ein Mann, der Ende der Sixties in „Performance“ schon Mick Jagger als dämonische Rockikone inszeniert hat, entdeckte auch David Bowie dann für das Kino: Nicolas Roeg. Der Regisseur hatte im Januar 1975 die tolle Dokumentation „Cracked Actor“ über Bowie in Los Angeles gesehen und dabei den Helden seines nächsten Filmprojekts entdeckt: „Der Mann, der vom Himmel fiel“. Als „Alien“ hatte sich Bowie ja schon seit seinen „Major Tom“-Tagen inszeniert und so war dieser Außerirdische natürlich eine Traumrolle für ihn. Auf die er lange gewartet hat, seit seinen Schauspiellektionen bei dem homosexuellen Pantomimen Lindsay Kemp.
Der ganze Film spielt mit Motiven aus Bowies Karriere. So wird im Trailer zum Film Bowie sogar als „Phänomen unserer Zeit“ gepriesen. Und dieser Thomas Jefferson Newton ist ein weiterer Bruder von „Ziggy Stardust“ und all den anderen Personas des „Thin White Duke“, der vor den Dreharbeiten in New Mexico noch seine tolle Philly-Sound-Hommage „Young Americans“ eingespielt hat und schon an den Songs für „Station to Station“ herum bastelte. Bald wird Bowie auf dem Sprung nach Berlin sein, in die Stadt von „Cabaret“, den „Glimmer Twins“ Brecht/Weill und Marlene Dietrich.
Mit Marlene Dietrich hat man ihn dann auch für seinen nächsten Film geködert. Vorher hatten sich Ideen für ein „Dreigroschenoper“-Projekt mit Fassbinder und ein Egon-Schiele-Biopic in Wien wieder zerschlagen. Der Regisseur und jetzige Produzent Rolf Thiele hatte es tatsächlich geschafft, Marlene Dietrich zu einem kleinen Comeback auf der Leinwand zu verführen. „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ heißt der krude „Cabaret“-Abklatsch, den der einstige „Blow-Up“-Fotograf David Hemmings inszenierte. Marlene spielt hier die Puffmutter einer preußischen Kadettenanstalt und singt auch das Titellied. Einer ihrer Callboys ist David Bowie.
Lange muss man im Film auf ihre Begegnung warten. Endlich taucht Marlene auf und mustert ihre neueste Eroberung. Eine denkwürdige Szene, die durch und durch synthetisch ist, ganz im Simme von Josef von Sternberg. Die beiden sind sich im Studio nie begegnet. Bowie hat seine Szenen in Berlin gedreht und die Dietrich hat ihre zwei Drehtage in Paris absolviert. Marlenes guter Freund Walter Reisch wird später erzählen, dass ihn Bowie in dieser Szene an den jungen Rudolf Sieber in den Roaring Twenties erinnert hätte, Dietrichs Ehemann.
Vermutlich nach dem Ende der Dreharbeiten im Februar 1978 soll Bowie Berlin bereits verlassen haben, aber 1981 ist er noch einmal zurück gekehrt, um dort in den Hansa-Studios seinen „Baal“-Soundtrack aufzunehmen. Wie Fassbinder hat auch er Brechts Helden „Baal“ in einem TV-Film verkörpert. Viele weitere Rollen folgten noch, so spielte er einen Vampir und verkörperte endlich auch Andy Warhol. Am bewegendsten war nun freilich sein Abgang in drei großen Videos und Songs: „Where Are We Now?“ über seine Berliner Zeit, „Sue“ (Or In A Season Of Crime) und „Lazarus“, Bowie auf dem Totenbett. Selbst seinen eigenen Tod hatte Mr. Jones für uns Zeitgenossen noch inszeniert.