Seit über einem Vierteljahrhundert prägt Quentin Tarantino nun schon den Umgang mit Filmmusik im aktuellen Kino. Das Verwenden von bereits veröffentlichter Musik hat er natürlich nicht „erfunden“, so wie er beileibe nicht „das moderne Kino“ erfunden hat. Tarantino ist ein „Monteur“ von Puzzlestücken aus der Popwelt, dem Kino und den Jukeboxen.
Und so entwickeln einige seiner tollsten Filme, von „Reservoir Dogs“ bis zu seinem neuesten „Once Upon a Time in Hollywood“ einen ganz eigenen Drive. Wobei er in den letzten Jahren diesen Drive bei einigen sehr langen Filmen auch etwas verloren zu haben scheint. Manche bemängelten sogar seine „Schwerfälligkeit“ in manchen jüngeren Werken.
Alles begann 1992 mit dem Debütfilm des Videotheken-Studenten Tarantino: „Reservoir Dogs“. Ein frühes „Meisterwerk“, ein Blueprint für sein Gesamtwerk aus witzigen Dialogen, Songs und Comic-Gewalt. Für den Film entstaubt er einen längst vergessenen kleinen Hit der George Baker Selection („Little Brown Bag“) und übersetzt einen seltsamen Song von Stealer’s Wheel in eine gewalttätige Phantasie. Die „Lyrics“ von „Stuck In The Middle With You“ nimmt er in dieser Folterszene sehr wörtlich. Wobei Tarantino an eine Tradition anschließt, die an das Jukebox-Kino eines Martin Scorsese („Mean Streets“) in den siebziger Jahren oder eines Barry Levinson („Diner“) in den achtziger Jahren anschließt. Die „Mutter“ dieses Kinotrends sollte man aber nicht vergessen: George Lucas’ „American Graffiti“ von 1973, ein „Coming of Age“-Drama mit „Wizard of Oz“-Anleihen, mit dem legendären Radiodiscjockey Wolfman Jack als „Wizard“. Der Autoradiosound der späten Sixties prägt im übrigen auch Tarantinos letzten Film „Once Upon a Time in Hollwood“.
Bereits sein zweiter Film „Pulp Fiction“ entwickelte sich zum – etwas überschätzten – „Kultfilm“. Jeder junge Filmregisseur wollte plötzlich „wie Tarantino“ inszenieren, ohne das Prinzip so richtig kapiert zu haben. In Deutschland fand Tarantino besonders viele Nachahmer in Kino und TV. Tarantinos „verschachteltes“ Kino fand in Til Schweiger einen besonders obsessiven „Fan“, der mit seiner „Vision“ (oder „Version“) zum Liebling des deutschen Kinopublikums wurde und zum Spottobjekt der Filmkritiker. Als Sgt. Hugo Stiglitz durfte er dann jedenfalls beim Meister selbst mitspielen, neben Christoph Waltz, den Tarantino in „Inglourious Basterds“ sogar zum Star gemacht hat. „Pulp Fiction“ ist ein verschachtelter Film, eine Nummernrevue wie in den 30er-Jahren. Dick Dales Surfgitarre gibt mit „Misirlou“ den Drive vor. Und es folgen Sequenzen, die zu Ikonen des Popkinos wurden: der Twist von John Travolta & Uma Thurman zu Chuck Berrys „You Never Can Tell“ oder die Barszene mit Bruce Willis zu einer „verlängerten“ Version von Al Greens Soul-Klassiker „Let’s Stay Together“. Originell ist Tarantinos Inszenierung seiner Hits fast immer. Ein besonders schönes Beispiel ist das Zurückdrehen der Autoradiomusik („Strawberry Letter 23“) in einer Szene, in der das Gefährt aus dem Bild verschwindet um dann wieder aufzutauchen. Solche Szenen machen den Charme des Tarantino-Kinos aus, mit und ohne „Verschachtelung“.
Sein drittes Werk „Jackie Brown“ wurde 1997 zu seinem schönsten Film. Nach den beiden Männerfilmen stand plötzlich eine Frau im Mittelpunkt: Jackie Brown. Verkörpert wird diese von der „Blaxploitation“-Ikone Pam Grier, die in den Siebzigern als „Foxy Brown“ zum Star geworden ist. Ihr schenkt Tarantino eine Liebesgeschichte mit dem großartigen Robert Forster. Herzstück ist eine Szene, die sich um einen Song der Philly-Soul-Gruppe The Delfonics dreht. Forster hört „Didn’t I Blow Your Mind This Time“ zum ersten Mal in der Wohnung von Pam Grier von einer Schallplatte, die auch im Bild zu sehen ist. Sie erklärt ihm, das seien The Delfonics. Und weil er so verliebt ist, wird er sich den Song auf einer Kaufkassette im Supermarkt besorgen. Liebe geht bei Tarantino durch die Ohren. Und Tarantino liebt dieses Spiel mit den verschiedenen Tonträgerformaten. Er treibt einen wirklichen „Kult“ um diese Quellen. Für den Soundtrack zu „Django Unchained“ verwendete er hauptsächlich seine alten Italo-Soundtrack-Platten auf knisterndem Vinyl.
Nach „Jackie Brown“ trieb er das Spiel mit alten Songs und Filmmusiken immer weiter: So tauchte plötzlich in „Kill Bill“ ein vergessenes Pfeifthema von Bernard Herrmann („Twisted Nerve“) auf oder sangen in „Inglourious Basterds“ die einstigen Ufa-Lieblinge Lilian Harvey & Willy Fritsch „Ich wollt’ ich wär ein Huhn“.
Im neuesten Film „Once Upon a Time in Hollywood“ (Soundtrack bei Sony) über die Zeit der Manson-Morde im Los Angeles von 1969 kommt die Musik hauptsächlich aus dem Autoradio. Wie immer hat Tarantino dafür einen ganzen Strauß von vergessenen Hit-Perlen zusammen gestellt: von Los Bravos, den Raiders, Buffy-Sainte-Marie oder Roy Head. Aber der eigentliche Clou ist dieses Mal der Mix. Tarantino hat extra für den Soundtrack die alten Jingles, Werbespots und Ansagen der Discjockeys seines Lieblingsradiosenders organisiert. Und dabei oft sogar noch die Songs im dumpfen Autoradiosound gelassen. Das nenne ich Liebe oder Chuzpe.