Drei Jahrzehnte waren sie das „perfect match“ der Nouvelle Vague: Jacques Demy & Agnes Varda. Auf einer DVD von Arthaus sind sie nun wieder vereint. Als Bonus zu Demys Meisterwerk „Die Regenschirme von Cherbourg“ gibt es Vardas wunderbaren Film über Demys Universum „Die Welt ist ein Chanson“. Ein Motto, das passt. Denn das Leben selbst, es klang in Demys bitter-süßen Filmen wie ein Chanson. Wer eine Vorstellung gewinnen will von Demys französischem Musical-Stil, der braucht sich nur Björks Videoclip zu „It‘s Oh So Quiet“ anzusehen. Eine einzige Hommage ist das an die beiden Filme, die er in den frühen Sixties mit Catherine Deneuve gedreht hat: „Les Parapluies de Cherbourg“ und „Les Demoiselles de Rochefort“ (der hoffentlich auch noch auf DVD erscheinen wird). Und wer kennt nicht Michel Legrands „I Will Wait For you“ aus „Cherbourg“.
Die Regenschirme von Cherbourg“ ist das einflussreichste europäische Musical der Sixties. „Weder eine Oper, noch eine musikalische Komödie, noch eine Operette“ wollte Demy darin sehen: „Es sind gesungene Dialoge, es ist Musik, die einen Text unterstützt, und umgekehrt. Alle Wörter sind hörbar, ohne dass der Schwung der Stimmen je forciert wird. In meinem Film wird nie getanzt, dafür wird die ganze Zeit gesungen. Es ist ein Jazz-Film.“ Einige von Michel Legrands Melodien wurden danach dann auch zu Jazz-Standards. Ein Melo-Musical wie Vincente Minnellis große MGM-Musicals „Ein Amerikaner in Paris“ oder „Brigadoon“.
Mit einer Irisblende beginnt „Cherbourg“, wie die Wiener Filmwissenschaftlerin Elisabeth Büttner in einem klugen Essay über Demys „Raumgefüge“ in seinen Musicals anmerkt. Eine Schiffssirene ertönt und „gedämpfte Ockerfarbe dominiert das Bild, das einen Ausschnitt des Hafengeländes von Cherbourg zeigt. Glitzerndes Wasser, vertaute Schiffe, ein Kran.“ Büttners Beschreibung erinnert sehr an den Anfang von Stanley Donens Bernstein-Musical-Verfilmung „On The Town“. Danach löst sich laut Büttner das „Schweifend-Kontemplative“ in Staunen, Freude, Beschwingtheit auf. „Die Welt wird gelb. Die Dichte des Meeres wandelt sich. Regen setzt ein. Bunte Schirme werden aufgespannt. Eine Choreografie von Farben und Kreisen gewährt ein Innehalten, bevor die Geschichte Ahnungen und Markierungen der ersten Bilder aufgreift und weiterträgt. Der Offenheit, die das Meer bereithält, wird eine Tendenz zur Abschließung antworten. Deren räumliche Heimat werden die Zimmer sein. Doch auch sie bergen ihr Anderswo.“ Und dann beginnt ein klassisches „Singspiel“, ein Boy-meets-Girl-Drama – ohne Happy End. Immer mehr passen sich die Protagonisten im Laufe der Handlung dem Dekor, den Farben und den Melodien an, die in ihnen „singen“, wie das einst Ernst Bloch beobachtet hat.
In Vardas „Chanson“-Film treten sie dann tatsächlich alle nochmals auf, die damals dabei waren: Demy & Legrand, Deneuve & ihre Cherbourg-Liebe Nino Castelnuovo. Und all die anderen, die Demys durch und durch musikalisches Universum geprägt haben: seine „Lola“ Anouk Aimée, die „blonde Sünderin“ Jeanne Moreau oder Michel Piccoli. Und die Varda hat auch noch drei junge Frauen in dieser Liebeserklärung an ihren 1990 verstorbenen Mann gepackt, die Demy treffen wollten, die aber zu spät kamen.
„Eine der drei sprach mich auf der Rue Daguerre an, um sich mit mir über ‚Les Demoiselles‘ zu unterhalten“, erzählt Varda. Andere hatten ihr geschrieben. Dann lud sie alle drei in ihren „Universum“-Film ein, um vor der Kamera zu improvisieren, was Demys Welt für sie bedeutete. Ihren Namen freilich wollte Varda nicht nennen, denn für sie sind sie „Les Demoiselles de l’Allée Raffet“ geworden, reizend und zurückhaltend. Und so hat sich für die Varda, die immer noch fleißig Filme dreht, der Kreis zu ihrem geliebten Jacquot de Nantes wieder einmal geschlossen.