Nikolaus Harnoncourts Gesicht ist ein Theater für sich. Wie er seine Augen rollt, mit Mimik und Gestik den Sängerinnen und Sängern exakt das zu entlocken scheint, was er in Mozarts Partitur entdeckt hat, erzählt ein eigenes, mitreißendes Musikdrama.
Im Jahr 2014, zwei Jahre vor seinem Tod realisierte der Dirigent im Theater an der Wien einen semi-konzertanten Zyklus von Mozarts Da-Ponte-Opern, von denen nun Le Nozze di Figaro vorliegt. Vor allem an den Rezitativen hatte er mit dem Ensemble akribisch gearbeitet, wie die mitgelieferte Dokumentation von Felix Breisach wunderbar zeigt. Er versteht sie als Sprechgesang mit Betonung auf dem Sprechen, so dass das Stück seine Theatralik ganz aus dem Text heraus entfaltet. Was die Arien und Ensembles betrifft, so schlägt Harnoncourt fast durchgehend gemäßigte bis langsame Tempi an. Das mutet bisweilen etwas schulmeisterlich an, doch die unter der (Zeit-)Lupe entstehende Detailtiefe fasziniert. Die ausgezeichnete Besetzung folgt ihm mit großer Hingabe, schade nur, dass der im hochgefahrenen Graben agierende Concentus Musicus klangtechnisch etwas überpräsent ist. (Unitel/C Major)
Erhellend ist auch die Dokumentation, die dem Mitschnitt von Chaya Czernowins Heart Chamber beigegeben ist. Uli Aumüller hat die Entstehung dieser Uraufführung vom November 2019 an der Deutschen Oper Berlin ausgiebig begleitet, so dass wir viel über die Konzeption der Komponistin und den Probenprozess erfahren. „An inquiry about love“ lautet der Untertitel und in der Tat passiert in dem knapp 90-minütigen Werk nicht viel mehr, als dass eine Liebesbeziehung zwischen einer „Sie“ und einem „Er“ aufkeimt. In deren „Herzkammern“ blickt die Komponistin, von der auch der Text stammt, mittels feinster Vokalverästelungen, wobei den Hauptrollen jeweils „innere Stimmen“ an die Seite gestellt sind. Patrizia Ciofi, Noa Frenkel, Dietrich Henschel und Terry Wey leisten hier Exemplarisches. Instrumental fächert Chernowin den Klang von einem Kontrabass-Solo ausgehend (Uli Fussenegger) höchst differenziert bis ins große Tutti hinein auf, Live-Elektronik inklusive. Dass einen bei aller Bewunderung das Ganze auf Konserve ein wenig kalt lässt, liegt ein Stück weit an Claus Guths in der Bildsprache sehr ästhetischer, aber auch ein wenig glatter Inszenierung. Die zum Teil sehr dominanten Videoprojektionen vergrößern und vergröbern das intime Kammerspiel zum Breitwandkino. (Naxos)
Wenig Fortune hatte die Bayerische Staatsoper 2019 mit ihrem Versuch, Glucks ehrwürdiger Alceste zeitgenössisches Bühnenleben einzuhauchen. Die um dekorative Tanzeinlagen angereicherten Tableaus des Regisseurs und Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui bleiben oberflächlich, zwischen den ohnehin eher statisch angelegten Figuren passiert wenig. Dorothea Röschmann wirkt in der Titelpartie sehr angestrengt, Charles Castronovo (Admète) scheint sich mit seinem sentimental vorpreschenden Tenor im falschen Jahrhundert verirrt zu haben. Immerhin schlägt Antonello Manacarda am Pult des Bayerischen Staatsorchesters manche Funken aus Glucks an vielen Stellen doch hinreißender Partitur. (Unitel/C Major)
Wer Franco Alfano jenseits seiner Vollendung von Puccinis „Turandot“ kennen lernen will, kann zur Videopremiere von dessen Risurrezione (1904) greifen, einem Mitschnitt vom Maggio Musicale in Florenz aus dem Januar 2020. Geboten bekommt man eine librettistisch arg vergröberte Umarbeitung von Tolstois „Auferstehung“ zu einem veristischen Reißer von mittlerer Durchschlagskraft. Das ist handwerklich durchaus beachtlich und gibt den Sängerinnen und Sängern (hier vor allem Anne Sophie Duprels und Matthew Vickers in den Hauptrollen) manch süffige Melodie in die Kehle. Die pittoreske Regie Rosetta Cucchis vermag dem Stück allerdings auch keine echte Dringlichkeit zu verschaffen. (Dynamic)
Zeitgenössisch-süffig ist dagegen die Bearbeitung von Gay/Pepuschs Beggar’s Opera geraten, die Ian Burton und Robert Carsen der ewig jungen „Ballad Opera“ am Pariser Théâtre des Bouffes du Nord haben angedeihen lassen. Voller Esprit begleiten Les Arts Florissants unter William Christie ein – wie es sich gehört – aus Schauspielern bestehendes Ensemble, das angemessen lässig zu singen versteht. (Opus Arte)
Noch mehr Spaß macht die Produktion der Pariser Opéra Comique von Francesco Cavallis Ercole Amante. Köstliche Kostüme, spektakuläre Fortbewegungsmittel, lebendige Sitzgelegenheiten, Untote, die aus Gräbern steigen … Die drei Stunden dieser herrlich gesungenen, vom Ensemble Pygmalion unter Raphaël Pichon brillant begleiteten Barockrarität vergehen wie im Flug. (Naxos)