Während der FiFa-WM wurde es immer wieder gerne mitgegrölt: „You’ll Never Walk Alone“. Manchmal erfuhr man bei dieser Gelegenheit auch etwas über die Herkunft dieses Songs. Das hörte sich dann etwa so an: „You (sic!) Never Walk Alone“ ist die Hymne des Fußballclubs 1. FC Liverpool. Gerry & The Pacemakers sangen 1963 die Originalversion im Mersey-Sound. Kaum einer erwähnte, woher der Song wirklich stammte: aus dem Musical „Carousel“ von Richard Rodgers & Oscar Hammerstein II.
Die „siamesischen Zwillinge“ des Broadway hatten diese Hymne 1945 für ihre „Liliom“-Fassung geschrieben, zwei Jahre nach ihrem ersten gemeinsamen Musical-Hit „Oklahoma!“. Mitte der Fifties wurden beide Shows von der 20th Century Fox in Breitwandverfahren verfilmt, zusammen mit zwei weiteren Hits, „The King And I“ und „South Pacific“. Schon 1945 hatten Rodgers & Hammerstein für die Fox ihr einziges Filmmusical verfasst: „State Fair“. Jetzt liegen endlich alle ihre fünf Fox-Musicals in restaurierten DeLuxe-Editionen vor. Das üppige Bonusmaterial besteht nicht nur aus Dokumentationen, Trailern oder Karaoke-Fassungen, meistens packte die Fox auch noch weitere Fassungen in einem anderen Bildformat (Todd-AO, CinemaScope 55) hinzu. In zwei Fällen kommen wir sogar in den Genuss eines Remakes („State Fair“) oder der Ur-Version („Liliom“). 1943 war das Western-Musical „Oklahoma!“ eine Broadway-Sensation gewesen. Die Kritiker bezeichneten die Show als erstes „modernes Musical“. Im Rückblick freilich erinnert „Oklahoma!“ ähnlich wie Jerome Kerns & Oscar Hammersteins „Show Boat“ eher an die europäische Operettentradition. Auch die Filmfassung von Fred Zinnemann („High Noon“) kann diesen Eindruck nicht verwischen. Zinnemann soll nicht glücklich gewesen sein über seine „Oklahoma!“-Version, trotz einiger grandioser Nummern wie dem Opener „Oh What A Beautiful Morning“. Seltsamerweise funktioniert ihr einziges Original-Filmmusical „State Fair“ heutzutage besser, wenn man es einbettet zwischen die zwei anderen großen Americana-Musicals der Forties: Vincente Minnellis „Meet Me In St. Louis“ und Rouben Mamoulians „Summer Holiday“. Und endlich kann man sehen, wie Walter Lang den großen Song inszeniert hat, der zum Jazz-Standard geworden ist: „It Might As Well Be Spring“. Jeanne Crain besingt ihre Frühlingsgefühle wie Judy Garland ihren „Boy Next Door“. Als „Jahrmarkt der Liebe“ kam „State Fair“ nach dem Krieg sogar bei uns ins Kino. Danach jedoch war der Film eine kleine Ewigkeit lang verschwunden. Nun hat man Gelegenheit, „State Fair“ wiederzuentdecken, zusammen mit dem mittelprächtigen Remake von 1962. Vier dieser fünf Fox-Musicals waren Ende der 70er- Jahre, lange vor der „Cats“-Hysterie, auch im ZDF zu sehen, in der jetzt legendären Reihe „Des Broadways liebstes Kind“. Natürlich liefen damals die Filme, wie üblich, im falschen Format, und so kann man sich jetzt besonders freuen über die CinemaScope-Fassungen. Denn erst in diesem Format und in den jetzt wieder leuchtenden Farben entwickeln Musicals wie „The King And I“ – mit Yul Brynner in seiner Paraderolle als König von Siam –, das exotische „South Pacific“ oder „Carousel“ ihren surrealen Reiz.
Es ist seltsam, einige dieser Broadway-Musicals, die auf der Bühne ein wenig schwerfällig wirken, scheinen erst auf der Leinwand ihre wahre Bestimmung gefunden zu haben. Ganz sicher trifft das auf Henry Kings großartige „Carousel“-Version von 1956 zu. Das Schmuckstück dieser Kollektion hat man gekoppelt mit Fritz Langs „Liliom“-Fassung, 1933 im Pariser Exil entstanden. Henry King war der Meisterregisseur der Fox in den Fifties. Kaum einer des Studios verstand es so sehr, das neue CinemaScope-Format so auszureizen wie der „King“ der Fox. Beim Wiedersehen mit „Carousel“ fällt mir ein schöner, sehr beherzter Text ein, den der Filmwissenschaftler Peter Nau anlässlich einer „CinemaScope“-Retrospektive der Berlinale verfasst hat. Das Herzstück des Films, Lilioms Selbstgespräch („Soliloquy“) – eingerichtet von Frank Sinatras Hausarrangeur Nelson Riddle! – hatte es ihm dabei besonders angetan:
„Am Strand, wo die Meereswellen das Felsgestein umspülen, besingt er das erwartete Söhnchen, dann ein Töchterchen, und sein Gesang, mit der Orchesterbegleitung, schallt in einer kolossalen Vergrößerung den Natur-elementen entgegen. Dieser Sandstrand, die Felsen, die Wellen und Wogen: Alles ist einfach nur da, wie um seiner selbst willen; und in dieses Naturtheater, das so gar nicht dafür hergerichtet ist, tritt nun der Sänger, in dessen Gesang sich sein Dasein, seine Freude unmittelbar verständlich machen.“ Das wahre Kino muss durch und durch synthetisch sein, predigte Josef von Sternberg („Der Blaue Engel“) einst, Henry Kings „Carousel“ und Fritz Langs „Liliom“ waren Musterbeispiele für seine These.