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Foto: Österreichisches Filmmuseum
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Die Stunde, wenn Dracula kommt

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Zum musikalischen „Carnival of Souls“ im Österreichischen Filmmuseum
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Jeder, wirklich jeder hat sie schon einmal gehört, die bedrohlichen Strings aus „Psycho“. Wenn nicht im Film selbst, dann als Untermalungsmusik in RTL2-Dokumentationen oder als Hip-Hop-Samples. Bernard Herrmann hatte sie 1960 für einen Klassiker des Horrorfilms komponiert, der in jeder Hinsicht Maßstäbe gesetzt hat. Inszeniert hatte diesen Albtraum im „black-and-white sound“ der „Gruselmann“ des Kinos, wie man damals in Deutschland Alfred Hitchcock noch nannte.

 „Psycho“ war 1960 der Höhepunkt des Hollywood-Horrorfilms gewesen. Ein billiger Schwarz-Weiß-Film, den Hitchcock selbst produziert hat. Ein Herzstück des modernen Kinos, das natürlich auch in der großen Horrorfilm-Retrospektive des Österreichischen Filmmuseums in Wien gezeigt wird, die bis zum 17. Oktober dauert. Die Schau, die unter dem schönen Motto „Carnival of Souls“ (Titel eines Lieblingsfilms von Elfriede Jelinek) steht, wird kuratiert von Christoph Huber, der dafür Klassiker von 1918 bis 1966 ausgewählt hat: von Fritz Freislers „Der Mandarin“ bis John Gillings „The Plague of the Zombies“. Wer will, kann diese Retro auch als eine Fortsetzung der Kino-Musik-Reihen des Österreichischen Filmmuseums sehen – und hören! Nach Korngold und Eisler nun also Horror-Filmmusik.

Schon die ersten Klassiker des Genres aus der Stummfilmzeit wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“, „Der Golem“ oder „Nosferatu“ waren natürlich im Kino nicht stumm vorgeführt worden, sondern mit Musik. Manchmal hat nur ein einsamer Pianist die Nachtgestalten auf ihren dunklen Wegen begleitet, manchmal hat aber auch ein großes Orchester dazu aufgespielt. Meistens wurden dazu Kompilationen aus den „Kinotheken“ zusammengestellt, aber bereits seit 1913 lieferten auch Musiker dazu Originalscores. Der Liszt-Schüler Josef Weiß hatte im selben Jahr den Reigen in Deutschland mit der Erstverfilmung von „Der Student von Prag“ begonnen, den gerade Arte mit der Originalmusik rekonstruiert hat. Die Zweitverfilmung von 1926 wird es dann auch in Wien geben, mit Liveklavierbegleitung. Zu Murnaus „Nosferatu“ wird der Originalscore von Hans Erdmann erklingen. Erdmann war es auch gewesen, der im „Allgemeinen Handbuch“ den ersten Versuch machte, die „Autorenillustrationen“, wie er sie nannte, bis 1926 zusammenzufassen. Ob es sich dabei um Kompilationen oder Originalkompositionen für das Kino handelte, ließ sich oft schwer feststellen, wenn das Werk nicht im Druck vorlag. Und so konnte sich der Begriff nicht durchsetzen.

Mit der Einführung des Tonfilms kam auch Ende der zwanziger Jahre die Revolution der Filmmusik: Plötzlich waren Bild und Musik aneinander gekoppelt, entstand eine Fusion aus Sound und Vision. All die großen Horrorfilme jener Ära wie „Frankenstein“ oder „Island of Lost Souls“ sollte man deshalb auch mit den Ohren sehen.

Ein Meisterwerk wie Dreyers „Vampyr“ ist ein purer Hör-Film. Noch unheimlicher als die delirierenden Bilder ist hier die Tonspur: ein Mix aus seltsam körperlosen Stimmen, Sounds und Wolfgang Zellers entrückter Musik. Später hat Zeller pathetisch den „Ewigen Wald“ und Veit Harlans antisemitische „Jud Süß“-Verfilmung orchestriert. Ein ähnlicher Fall war der Wagner-Strauss-Epigone Herbert Windt, der für Wysbars traumverlorenes Horror-Melo „Fährmann Maria“ 1936 eine sehr subtile Partitur geliefert hatte, nachdem er für Leni Riefenstahls Reichsparteitagsfilm „Triumph des Willens“ so richtig auf die Pauke gehauen hatte. Zwei perfekte Diener ihrer Herren, echte Dienstleister der Nazis.

In Hollywood waren es zwei Wiener gewesen, die in den dreißiger Jahren die Standards gesetzt hatten für die neue Kunstform: Erich Wolfgang Korngold und Max Steiner. Es war Max Steiner gewesen, der 1933 mit seiner Musik für „King Kong“ das „Golden Age of Film Music“ eingeleitet hatte. Und dabei erklingt im ersten Teil des Films, der in New York spielt, keine einzige Note. Erst als das Schiff die Insel Skull Island erreicht, setzt das 46-Mann-Orchester ein, das Max Steiner für 50.000 Dollar engagiert hatte. Bis zum Ende des Films wird es dann fast durchspielen. Das war neu im amerikanischen Kino, wie auch die perfekte Verbindung von Musik und Soundeffekten, die Murray Spivack der Tonhöhe der Musik angepasst hatte.

Der vielleicht schönste Horrorfilm jener Ära war 1935 ein Sequel: „The Bride­ of Frankenstein“. Den Komponisten für diese „Universal“-Produktion hatte Regisseur James Whale durch Fritz Langs „Liliom“-Verfilmung für sich entdeckt. Noch in seinem Pariser Exil hatte Franz Wachsmann 1933 die Musik für dieses Kino-Märchen geschrieben. Dank Whale ist sie für Wachsmann zur Eintrittskarte für Hollywood geworden. Auch hier wollte Wachsmann wie in „Liliom“ wieder ein Ondes Martenot in seinem Score einsetzen, einen Nachfolger des Theremins, aber es kam nicht dazu. Der berühmte „Dance Macabre“ daraus ist zum Ohrwurm geworden und ist dann Ende der Vierziger nochmals in einem Broadway-Musical aufgetaucht: „South Pacific“. Nur hatte er jetzt einen neuen Titel, „Bali Ha‘ i“, und einen neuen „Vater“: Richard Rodgers. Ein offensichtliches Plagiat.

Viel könnte man noch erzählen über die Zeit danach. Aber es soll ja demnächst eine Fortsetzung von dieser Retrospektive geben. Und dann werde ich die Geschichte weitererzählen.
 

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