Die meisten Wagnerianer seien offene Menschen, heißt es einmal zu Beginn des Films, es gebe aber auch die anderen: die Wagner-Fanatiker. Der Musikjournalist und Filmemacher Axel Brüggemann versucht mit seiner Dokumentation „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“ das Phänomen Wagner aus dem Blickwinkel der ersten Gruppe zu umreißen.
Von Venedig ausgehend, wo sich Wagnerianer aus aller Welt im Palazzo Vendramin-Calergi treffen, fängt er Impressionen und Stimmen als Mosaiksteine ein, in der Hoffnung, sie mögen sich in der Gesamtschau zu einem ebenso knallbunten Wagner-Bild zusammensetzen wie das Glasfenster aus dem Bayreuther Hotel Goldener Anker, welches das Filmplakat ziert.
Nach dem venezianischen Vorspiel bleibt Bayreuth auch das Zentrum des Films: Das Festspielhaus wird ehrfürchtig mit der Drohne überflogen; Katharina Wagner plaudert kurz über die Doppelbelastung von Festspielleitung und Regiearbeit oder die Bürde der Verwandtschaft („Das Vergnügen, ein Wagner zu sein, hält sich manchmal in Grenzen.“); Christian Thielemann führt die Telefone aus dem Orchestergraben vor und lässt einen an der bahnbrechenden Selbstbeobachtung teilhaben, er sei durch die Bayreuth-Erfahrungen im Tempo eher flüssiger geworden, denn es müsse „klar und neblig zusammen sein“. Dazu gibt es kleine Schlaglichter auf den Promi-Auflauf vor dem Festspielhaus und das Leben hinter den Kulissen: Catherine Foster mit Korrepetitor, Piotr Beczala in der Idylle seines abgeschiedenen Rückzugsorts, Plácido Domingo huscht durchs Bild …
So weit, so vorhersehbar. Als Ass im Ärmel des Storytellers präsentiert Brüggemann noch das sich gegenseitig ins Wort fallende Bayreuther Metzger-Ehepaar Rauch, das seine Sicht der Dinge als saisonale Versorger und Vermieter von Festspiel-Mitwirkenden zum Besten geben darf. Das schrammt gerade noch so an der Vorführung der bodenständigen Franken vorbei und muss nach Erwähnung der „Schwarzen Venus“ Grace Bumbry als etwas holpriger Aufhänger eines von mehreren Exkursen in den vom Filmtitel angekündigten „Rest der Welt“ herhalten.
In diesem Fall geht es nach Newark, New Jersey, wo die Baptistengemeinde einen ausschließlich mit People of Colour besetzten Open-Air-„Ring“ auf die Beine gestellt hat. Dieser Ausflug bleibt aber ebenso oberflächlich wie weitere Schauplatzwechsel nach Riga (wo Ex-Ministerpräsident Maris Gailis Geld für ein Wagner-Museum sammelt), nach Abu Dhabi (wo die Bayreuther Festspiele mit der „Walküre“ gastieren) oder nach Tokio (wo ein „Parsifal“ für Kinder aufgeführt wird). Viel mehr als die wenig überraschende Erkenntnis, dass Wagner weltweit auf ein vielfältiges Echo stößt, bleibt nicht hängen.
Etwas ausführlicher widmet sich Brüggemann immerhin der Rolle, die Wagners Musik in Israel spielt, oder eben nicht spielt. Dabei kommen der Regisseur Barrie Kosky – der in Bayreuth eine brillante, den verborgenen Antisemitismus kenntlich machende Deutung der „Meistersinger“ auf die Bühne gebracht hat –, vor allem aber Jonathan Livny zu Wort, der den israelischen Richard-Wagner-Verband gegründet hat. Wenn dieser von seinem Vater erzählt, dem einzigen seiner Vorfahren, der den Holocaust überlebte und der mit zahllosen Wagner-Platten nach Israel floh, hat das ein ganz eigenes Gewicht. „Er war ein scheußlicher Mensch, der himmlische Musik geschrieben hat“, zitiert Livny die Wagner-Charakterisierung seines Vaters und ist der Meinung, Hitlers Musikgeschmack solle seinen nicht belasten. Wenn im Bayreuther Festspielhaus die Türen zugehen, hat er die Assoziation des Eingesperrtwerdens, wie in einem Zug ins KZ, denkt aber andererseits: „Wir haben gewonnen, ich bin zurück, ich lebe!“
Brüggemanns ergiebigster Gesprächspartner wäre eigentlich der amerikanische Musikjournalist Alex Ross („Die Welt nach Wagner“). Seine prägnanten Statements dienen aber nur dazu, ein Thema anzureißen, das dann wieder mit neuen Bildern von neuen Schauplätzen mehr illustriert denn vertieft wird. Insgesamt fehlt dem Film eine kritische musikjournalistische Handschrift, die Brüggemann ja durchaus zu Gebote stünde. Vereinzelte Beobachtungen – der bröckelnde Putz auf der Rückseite der Ca’ Vendramin oder der im Privatjet aus Bayreuth entfleuchende Valery Gergiev – deuten ebenso wie die distanzierte und eher unvorteilhafte Kameraperspektive auf die „Talking heads“ (von unten) eine leicht subversive Note an; mehr ist es dann aber auch nicht. So bleibt bis zum Ende des Films (seit 28. Oktober im Kino) die Frage unbeantwortet, was genau der Regisseur eigentlich über den weltweiten Wagner-Enthusiasmus erzählen wollte – und wem.