Die Internationale Funkausstellung in Berlin 2003 war ein großer Erfolg: Sie hatte mehr Besucher und führte offenbar auch zu mehr Bestellungen als auf der letzten IFA, weil sie eindrucksvolle Erzeugnisse allerneuester Technik zeigte wie Flachbildschirme, Festplattenrecorder oder die drahtlose Elektronik-Vernetzung im ganzen Haus. Die Presse schwelgte in Schlagzeilen wie „Digitale Meilensteine“ oder „Das Internet kommt ins Wohnzimmer“.
Fast übersehen wurde, dass die Ausstellung auch wieder die Mehrkanal-Musikwiedergabe in einigen Vorführungen präsentierte, wie dies im Frühjahr schon auf der HIGH END-Messe in Gravenbruch bei Frankfurt mit großem Erfolg geschah.
Siegeszug der DVD
Was sich auf den letzten HIGH END-Messen und Funkausstellungen zeigte (nmz 9/01, S. 20 und 10/01, S. 6), bestätigte sich erneut. Die DVD läuft der CD endgültig den Rang ab. Die für den ernsthaften Musikliebhaber lang als Optimum empfundene Dualität von Fernseher hier und Stereo-Musik-Anlage dort, gefüttert mit Musikkassetten, LPs oder CDs, wird immer mehr abgelöst von der neuen Einheit, die mit DVD-Laufwerk plus Fernseher plus Surround-Klang über sechs Lautsprecher Bild und Ton zusammenführt. Die Einzelkomponenten werden immer aufwändiger und leistungsstärker, aber in Abmessung und Design auch kundenfreundlicher. Und weil immer mehr DVD-Video-Player verkauft werden, versucht die Musikbranche, sich im Wettbewerb der Formate SACD versus DVD-Audio weiter zu profilieren und technisch auf die vorhandenen Komponenten zurückzugreifen. Die SACD-Anhänger werben blumenreich für ihre Mehrkanal-Technik, bieten aber auf ihren Hybrid-Scheiben nur einen weiteren „Layer“ für die CD-Wiedergabe; auf DVD-Video-Playern laufen diese Scheiben nicht und auch ihre Gesamtspielzeit liegt deutlich unter der einer DVD-Audio. Dagegen gehen die DVD-Audio-Leute einen geschickteren Weg: Sie statten ihre DVD-Audio nicht nur mit dem mehrkanaligen DVD-Audio-Signal in 96 kHz und 24 Bit aus, sondern sie fügen die Musik – für die einfachen DVD-Video-Player – nochmals in Dolby-Digital-Qualität dazu, ebenfalls mehrkanalig; DVD-Audio-Scheiben laufen also auf jedem DVD-Player und davon gibt es weltweit mehr als 120 Millionen Stück. Doch das ist noch nicht alles. Für die Freunde der stereophonen Wiedergabe enthalten viele DVD-Audios das Stereosignal auch in dem hochauflösenden Format von 192 kHz und 24 Bit; das entspricht einer Abtastrate von 4,6 MHz, also fast dem Doppelten dessen, was die SACD mit 2,8 MHz zu leisten vermag.
Der Musikfreund braucht sich um technische Details und das Hin und Her aber jetzt nicht mehr zu sorgen. Er weiß, dass er für die Mehrkanalwiedergabe einen neuen Player braucht, dazu einen neuen Verstärker – besser einen Receiver, der auch das Radioempfangsteil enthält – sowie sechs Surround-Sound-Lautsprecher. Unsicherheit darüber, welches der beiden Formate sich durchsetzen wird – denn kein Player der einen Sorte verkraftet eine Scheibe der anderen –, ließ ihn bisher meist mit einer Kaufentscheidung zögern. Die Industrie hat inzwischen das Dilemma vorbildlich gelöst: In diesem Jahr schon auf der HIGH END und mehr noch jetzt auf der IFA führte sie etliche völlig neu und kompliziert ausgestatteten Multiplayer oder Universalplayer vor, die alle Formate gleich gut abspielen und auch „nach unten kompatibel“ sind, also auch CDs in hervorragender Qualität abspielen. Zu solchen Alleskönnern gehören etwa von DENON die Geräte DVD-2900, DVD-2200 oder DVD-1400, von PIONEER der DV 747 A oder der DV 656 A, von MARANTZ der DV-8300, von ONKYO der DV SP 800, von LEXICON der RT 10 und von YAMAHA der DVD S 2300. Die Preisskala beginnt bei etwa 550 Euro, „Flaggschiffe“ sind sehr teuer, aber zwischen 1.000 und 2.000 Euro gibt es schon Hochwertiges.
Das Angebot an Mehrkanal-Receivern ist umfangreich. Bei DENON etwa gibt es die Geräte AVC-A11SR, AVR-3803, AVR 2803, AVR-1804 oder AVR-1604, alle mit mindestens sechs Kanalausgängen ausgestattet, bei ONKYO den TX-SR 600, bei HARMAN-KADON den AVR 4550 und, den AVR 5550; auch die anderen bekannten Marken – SONY, YAMAHA, KENWOOD, MARANTZ – bieten für Preise zwischen 500 und 1.500 Euro sehr gute Qualität. Und Surround-Lautsprecher im Sechser-Pack sind inzwischen auch sehr preiswert geworden.
Formatstreit überwunden
Der lange Streit der Formate scheint also bald endgültig beigelegt zu sein. Wenn der Musikfreund sich heute von einem Audio-Fachmann eine solche Alleskönner-Anlage installieren lässt, erwirbt er eine Wiedergabetechnik, die ihm für lange Zeit einen neuen Musikgenuss erlaubt, den er noch nicht kannte. Die Vorführungen auf beiden Messen zeigten deutlich, dass die echte Mehrkanalaufnahme – über solche neue Installationen wiedergegeben – ein Hörerlebnis vermittelt, die das Live-Ereignis nicht nur noch vollendeter wiedergibt, sondern manchmal sogar zu neuen Hörerfahrungen führen kann.
DVD-Audio: neue Initiativen
Verschiedene DVD-Audio-Anhänger haben sich inzwischen zu einer DVD-AUDIO-INITIATIVE zusammengeschlossen, nämlich die Hardware-Firmen DENON, PANASONIC und PIONEER und die Musikprogramm-Anbieter DIVOX, BMG ARIOLA, ENJA, FARAO, NAXOS und WARNER VISION GERMANY (www.dvd-audio-initiative.de). Von der Schweiz geht eine weitere erfolgversprechende Initiative aus (www.2plus2plus2.info), die systematisch und Schritt für Schritt die „2+2+2“-Lautsprecher-Konfiguration weltweit einzuführen plant. Vor kurzem entschloss sich auch die Universal Music Group mit den Labels Deutsche Grammophon, Decca und Philips, DVD-Audio-Aufnahmen zu veröffentlichen; die ersten Silberscheiben sind bereits erschienen. Der Musikfreund kann also mit einer raschen Zunahme des Titelangebotes rechnen.
Schon heute gibt es an Mehrkanalaufnahmen rund 650 als DVD-Audio und auch auf SACD werden es immer mehr. Der Musikfreund fragt natürlich jetzt, wieviel „echte“ Mehrkanal-DVDs es inzwischen schon gibt – „echte“ deshalb, weil viele der „Großen“ ihren Musikvorrat, oft bereits mehrfach in Zweit- und Drittveröffentlichungen und in immer neuem Kleid und neuen Zusammenstellungen ausgewertet, erneut als „Mehrkanalaufnahme“ auf den Markt bringen und damit den Eindruck erwecken, es handle sich um neu Aufgenommenes, wo es doch nur um die technische Spreizung und Aufbereitung des Vorhandenen gehen kann. Man mag das zwar als „neues Hörerlebnis“ empfinden, aber wenn man die für die neue Mehrkanalwiedergabe bewusst von Anfang so hergestellte Aufnahme eines Musikstücks im Raumklang hört, erkennt man den Unterschied schnell. Und so reduziert sich die Zahl der „echten“ DVD-Silberscheiben – ob SACD oder DVD-Audio – zunächst noch auf eine wesentlich kleinere Zahl.
So gibt es Anlass zur Zuversicht: Denn weil die „Alleskönner“ beide Formate beherrschen, kann der Musikliebhaber aus dem steigenden Angebot beider Formate wählen, was ihn interessiert, und das Angebot vollständig nutzen.
Besseres Musikerlebnis
Was mich bei den Befürwortern der DVD-Audio-Technik besonders beeindruckt, ist eine schier grenzenlose Begeisterung für das musikalische Ergebnis. Ihnen allen geht es um Werktreue, um Klangbild, um Vermittlung des Komponierten und dessen, was sich hinter und zwischen dem Notierten versteckt, was sich nur hörend und fühlend erleben lässt. Für sie ist Mehrkanaltechnik immer Mittel zum Zweck, nie Selbstzweck: Es geht ihnen nicht um spektakuläre Effekte, sondern um die Suche nach der Wahrheit einer musikalischen Aussage.
Ebenfalls einen tiefen Eindruck hinterließ Thomas Hintze, der im Demonstrationsraum der Canton-Lautsprecher aus allen Musiksparten – von Bachs Matthäuspassion der neuen FARAO-Einspielung über eine spektakuläre „Big Phat Band“ bis zu elektronischer Musik, eigens für dieses neue Medium konzipiert – Mehrkanal-Aufnahmen vorspielte und unermüdlich und erfreulich kenntnisreich mehr über Musik sprach als über Technik. Die DVD-Audio-Befürworter haben sich inzwischen unter seiner Leitung zu einer DVD-Audio-Initiative zusammengeschlossen, die gerade eine eigene Homepage (www.dvd-audio-initiative.de) gestaltet. Aus diesem Zusammenschluss von Hardware-Firmen wie DENON, PANASONIC und PIONEER und Musikprogramm-Anbietern wie Appassionato (mit dem Label DIVOX), BMG ARIOLA, ENJA, FARAO, NAXOS und WARNER Vision Germany wird durch gemeinsame Aktivitäten die DVD-Audio unterstützt. Der Förderverein erhofft sich verstärkten Absatz von DVD-Audio-Aufnahmen.