Die Musiker des französischen Streichquartetts Quatuor Ébène sind Meister ihres Fachs und genießen weltweite Anerkennung. Doch das Quartett verbindet mehr, als nur Musik. Sie sind Freunde und unzertrennliche Weggefährten. Der Dokumentarfilm „4“ blickt hinter die Kulissen der gemeinsamen Arbeit vor und nach den Konzerten.
Beim Hören und Erleben eines Streichquartetts im Konzertsaal wird die Qualität des Ensembles vor allem über die reine Interpretation einer Komposition vielschichtig erfahrbar. Aber es gibt etwas, das weit darüber hinaus fühlbar werden kann – etwas das berührt, vielleicht auch unter die Haut kriecht und sich nicht in Worte fassen lässt. Vor dieser atmosphärischen Kulisse spielt der teilweise dokumentarisch konzipierte Film „4“ über das Quatuor Ébène aus der Feder von Daniel Kutschinski. Seine jahrelange Freundschaft zu den französischen Musikern hat zu einem filmischen Blick inspiriert, der den Lebensalltag des Quartetts zwischen Reisen, Proben und Konzert einfängt und das grundsätzlich unkommentiert. Gerade in diesem Moment liegt die enorme Sinnlichkeit der Betrachtung auf etwas, was sich dem Hörer meist nur als quasi perfektioniertes künstlerisches Ereignis präsentiert.
Sichtbar wird, was sich hinter den vielen glanzvollen und umjubelten Gastspielen auf den Konzertpodien der Welt abspielt. Dieser Film fängt vordergründig nicht nur vier begnadete Musiker ein, die fast jeden Abend mit Ovationen überschüttet werden und denen tiefste Bewunderung immer zugesichert scheint. Sichtbar wird, dass diese Musiker vor allem Menschen sind, die von Ängsten überrollt werden und die permanent Zweifel plagen. Sie kennen das Scheitern und sie wissen in selbstzerfleischender Weise, ihre Fähigkeiten in Frage zu stellen. Plötzlich finden sie aber auch ihr Glück in einem unverhofften Moment gelungener Interpretation, in Begegnungen mit dem Alltag außerhalb des Podiums, abseits von Partituren und ganz im eigenen Sein.
Daniel Kutschinski und Kameramann Arnd Buss von Kuk begleiten eine Konzertreise des Quatuor Ébène nach Italien, vor und hinter den Kulissen. Immer wieder nehmen sie individuelle Befindlichkeiten in den Blick und fokussieren nebenbei hochkonzentriert die einzelnen Protagonisten. Deutlich werden Brüche und Ambivalenzen sowie das vielschichtige unentbehrliche Ineinandergreifen von Musikern innerhalb einer festen, quasi unzertrennlichen Formation.
„4“ beobachtet vor allem gestalterische Entstehungsprozesse, die sich vor dem Hintergrund von Partituren ihren Weg bahnen und zugleich in Situationen zwischenmenschlicher Verdichtung leben. Vier musizierende Individuen formen einen Kosmos, der in diesem Film zum eigentlichen Protagonisten wird.
Respekt und auch eine gewisse Unbeholfenheit zeigt sich im Umgang mit der Partitur von Bartóks 4. Streichquartett. Eberhard Feltz, Mentor und Lehrer des Quatuor Ébène, provoziert hier das Machbare, stichelt an, versucht den Musikern den „Hunger nach Substanz“ zu entlocken. Ein Moment, da die Musiker offen und ehrlich zeigen, dass eine Komposition auch etwas in sich tragen kann, was für sie bei aller Erfahrung noch nicht überzeugend gestaltbar ist und an Grenzen der Umsetzung stoßen lässt.
Angst und Zweifel gehören in solch persönlichen Begegnungen zu den Faktoren, die künstlerische Identität am häufigsten begleiten, zugleich aber Antriebsfeder des gemeinschaftlichen Musizierens sind.
Wie sehr die individuelle Befindlichkeit einen Konzertauftritt auch in Frage stellen kann, zeigt Daniel Kutschinski kommentarlos, nackt und dennoch einfühlsam beobachtend. In „4“ wird man eigentlich zum Betrachter eines Spielfilms. Nichts zielt vordergründig auf die Abbildung atemberaubender Fingerakrobatik, sondern auf das Erspüren von Angst und Lust im Umgang mit Musik. Immer wieder begegnet man einer Zartheit, wie sie nur einem feinsinnigen Liebesfilm entspringen kann.
Bleibt zu wünschen, dass sich möglichst schnell viele Fernsehanstalten und Filmverleihe für eine Ausstrahlung entscheiden, denn dieser Film entführt auf unnachahmliche Weise in die Welt der Musik zwischen Verletzbarkeit, Fragilität, interpretatorischer Vision und tiefer Zwischenmenschlichkeit.
Vorstellungen:
- Premiere in Frankreich beim 12th Festival International de Musique de Wissembourg am 19. August 2016
- 10. Internationalem Fünf Seen Filmfestival
31. Juli bis 2. August 2016 - 35. Kammermusikfest Lockenhaus
am 9. und 13. Juli 2016 - 9. Musikfilmtage Oberaudorf
am 9. Juli 2016 - Filmbühne Regensburg
ab 22. September 2016 (weitere Termine: 23., 24., 25., 26., 27. und 28.9.)