Nach vier Tagen des Festivals „The Look of the sound“ in Bremen war erneut klar: „Es wird alles immer dichter“, wie der deutsch-spanische Regisseur Enrique Sánchez Lansch es in seiner Dankesrede an die Kuratorin Katrin Rabus stellvertretend für alle ausdrückte.
Das europaweit einzigartige Festival fand zum neunten Mal in Zusammenarbeit mit den Sendern ARD, ZDF, DW und ARTE statt, und natürlich wird alles „immer dichter“, wenn die Besucher/-innen sich inzwischen so gut kennen wie hier. 2001 hat die damalige Galeristin Rabus das Festival gegründet mit der Neugier und der Fragestellung, was gefilmte Musik jenseits gruseliger Mitschnitte aus Salzburg oder sonstwoher eigentlich ist oder sein könnte. So waren hier die Filme der großen Regisseure Bruno Monsaignon, Frank Scheffer, Uli Aumüller, Bettina Ehrhardt, Enrique Sánchez Lansch, Eric Schulz, Barrie Gavin und vielen anderen zu sehen und das Publikum mit Ideen und Formaten überrascht, die im normalen Fernsehen, auch und gerade im öffentlich-rechtlichen, nicht oder verschwindend selten zu sehen sind. Filme als Porträts von Komponisten und Musikern, Filme übers Musikmachen, Filme über die Entstehung von Produktionen und Filme über Probenprozesse. Stets stand dabei die Frage nach einem eigenen künstlerischen Zugang der Regisseure im Vordergrund, im Unterschied zu allzu braven Dokumentationen.
Der besondere „Kick“ des Festivals liegt vor allem auch in der Zusammensetzung der Diskussionsteilnehmer: Komponisten, Filmemacher und vor allem auch die verantwortlichen Produzenten der Sender sind da, so dass jeder die Probleme des anderen kennenlernen kann. Diese Art von Austauschmöglichkeit brachte auch dieses Jahr wieder fast dreißig Regisseure, über zehn Komponisten, fast zwanzig Redakteure und Produzenten, die verantwortlich die Programme kreieren und vertreten, zusammen. Da gab es eine substanzvolle Podiumsdiskussion über die Ästhetik einer Konzertaufzeichnung, da gab es eine Einheit über die Klassikrezeption übers Fernsehen, das Internet und das Kino, die wegen der sich rasant verändernden Medienlandschaft Fragen über Fragen aufwirft: „Wir müssen uns neu definieren“, so Eva Lochner von ARTE Musica. Da gab es große Filme wie den Karajan-Film von Eric Schulz, die explosive Dreigroschenoper von Günter Klein, die auf ARTE am 7.4. erstausgestrahlt wird, eine sensible Einfühlung in die Gefühle der Musiker in einem Film von Bettina Ehrhardt über Pierre Boulez. Und natürlich – und das ist eine gute Überlegung von Rabus – wie immer ein Live-Konzert, dieses Mal wieder durch das großartige Pariser „Ensemble Alternance“. Olga Neuwirth steuerte neue Filme bei: ihr Trompetenkonzert „Miramondo multiplo“ und „Die Schöpfung“, die zusammen mit Elfriede Jelinek die schreibende und komponierende Frau im Gottesplan ironisiert: „Und Gott schuf große Ungetüme …“
Der Leiter des SWR Eperimentalstudios Freiburg, der Komponist Detlev Heusinger, stellte seinen Film über sein 2001 in Donaueschingen uraufgeführtes Tryptychon, die Videooper „Die Sintflut“, zur Diskussion. Doch was im Konzertsaal mit Videoprojektionen an drei Seiten und neben drei Orchestern fünfkanaligem Tonband erklang, war hier zum Film zusammengepresst. Trotzdem wirkte seine Auseinandersetzung mit dem Mythos „Sintflut“ – und vielen anderen – bewegend, geheimnisvoll und deutungsoffen, obschon in den symbolgetränkten Bildern der Einfluss Andrej Tarkowskis sich manchmal allzu stark in den Vordergrund drängte. Zwei neue Filme zeigten reinste, aber allerbeste und tief informierende Unterhaltung: die Voraufführung von „Die italienische Art“, ein geradezu prächtiger Fim von Angelo Bozzolini über das Orchester der Academia Nationale di Santa Cecilia (Rom) und seinen charismatischen Dirigenten Antonio Pappano und ein Film „The Fabulous World of Anna Prohaska“ über die kraftvolle Koloratursopranistin von Andreas Morell.
Zum zweiten Mal und mit wachsender Intensität und Notwenigkeit präsentierten die Student/-innen des Studienganges „Lernradio“ der Musikhochschule Karlsruhe Arbeiten aus unterschiedlichen Stufen des Studiums – auch dieses europaweit einzigartig. Die durch Internet, YouTube, Facebook und anderen. täglich wachsenden Fragen der Bildpräsentation von Musik stellt diese Studenten vor einen Berg von Problemen, aber auch von Chancen, grenzenlosen Chancen, wie es scheint. Doch die Arbeit in der Ausbildung ist, wie der Leiter Syrthos Dreher ausführte, hart, sehr hart. Alle gezeigten Filme hatten jenseits von Standards beeindruckende Ideen. Dass diese jungen Leute in diesem Festival bereits eine Heimat in Bezug auf Austausch haben, möchte Rabus ausbauen: Sie plant einen Kurzfilmwettbewerb für den Nachwuchs. Noch hat sie kein grünes Licht seitens der Nord Media Filmförderung, vollkommen unverständlich bei der internationalen Tragweite der Idee. Syrthos Dreher: „Ein befruchtendes und unbezahlbares Ereignis, ein Geschenk“ sei das Bremer Festival.