Ein ganzes Jahrzehnt ist es her, seit der Film „Russlands Wunderkinder“ ins Kino kam. Heute ist der Film der russischstämmigen Filmemacherin als DVD erhältlich. Irene Langemann hat aber ihre vier Schützlinge, allesamt Schülerinnen und Schüler der Zentralen Musikschule für Hochbegabte in Moskau, in der Folgezeit nie aus den Augen verloren. Jetzt kommt der Nachfolger „Die Konkurrenten“ ins Kino.
Was wurde aus Elena Kolesnitschenko, die mit neun Jahren bereits im Vatikan dem Papst vorgespielt hat? Aus der kleinen zarten Irina Tschistjakowa, die während der Aufnahmeprüfung so mühelos alles nachspielen konnte, was eine Dozentin vorspielte, als wäre das ihr liebstes Kinderspiel? Aus Nikita Mndoyants, der vom gestrengen Vater unterrichtet wurde und als Neunjähriger auf die Frage, was er denn am liebsten in seiner Freizeit mache, antwortete „komponieren“? Der vierte im Bunde, Dmitri Krutogolovy, der damals als Zehnjähriger genauso wie heute mit seiner Mutter, einer Musiklehrerin, die früh sein außergewöhnliches Talent erkannte und mit ihm nach Moskau zog, in einer Ein-Zimmer-Wohnung haust, spielte damals am liebsten mit Autos. Allesamt wussten sie in ganz jungen Jahren bereits, was sie werden wollten. „Pianistin“ antwortet Irina fest auf die Frage, was sie denn werden wolle – mit sieben Jahren!
Dabei stammen nicht einmal alle aus musikalischen Familien: Elena Kolesnitschenkos Talent wurde zum Beispiel durch Zufall entdeckt, als sie eine Freundin in die Musikschule begleitete. Aber aus Wunderkindern werden nicht zwangsweise erfolgreiche Konzertpianisten. Elena lebt inzwischen in Hannover, wo sie studiert hat, ihren Ehemann kennenlernte und mit nur 19 Jahren Mutter einer Tochter wurde. Der Konkurrenzkampf ist gnadenlos. Wer es heute im internationalen Konzertzirkus zu etwas bringen will, muss mehr mitbringen, als sehr gut Klavier spielen zu können. Langemann begleitet alle vier bei Wettbewerben, die die Jungs, die ihre Karriere stringenter verfolgen, meist gewinnen. Irina kommt während eines Beispiels nicht ins Finale, ein Juror versichert ihr, dass die Entscheidung nichts mit ihrem herausragenden Können, sondern mit „anderen“, nicht genau umrissenen Umständen zu tun habe, und lädt sie ein, in seinem Heimatland Mexiko zu konzertieren.
Irina ist noch jung, sie kann noch viele Wettbewerbe gewinnen, sie ist verliebt in einen Pianisten und sieht ihre Zukunft noch einigermaßen rosig. Für Elena scheinen dagegen schon einige Züge abgefahren, sie ist fast 30 und somit bald zu alt für Wettbewerbe, deren Gewinner leichter einen Impressario, also einen Konzertveranstalter, finden, der sich wirklich für sie einsetzt. Die Erschöpfung ist ihr anzusehen, als sie bei einem Wettbewerb in Wien bereits nach der ersten Runde ausscheidet. Ein paar Tage später, nachdem sie Rückhalt in ihrer kleinen Familie gefunden hat, erhält sie zwei Briefe von Juroren, die ihr versichern, dass sie die Entscheidung der anderen Mitglieder stark anzweifeln und ihr Mut machen, unbedingt weiterzumachen.
Spätestens an dieser Stelle muss man diese hart arbeitenden jungen Frauen und Männer einfach nur mehr ihrer Kraft wegen bewundern, es in diesem gnadenlosen Mikrokosmos der klassischen Konzertwelt immer wieder aufs Neue zu versuchen und nicht aufzugeben. O-Ton Dmitri Krutogolovy: „Mir wird oft gesagt, ich hätte eine schwere und auszehrende Kindheit voller Sklavenarbeit und ohne Spiele auf dem Hof. Was kann ich da erwidern? Klavierspielen ist auch Spiel.“ Und Nikita Mndoyants entdeckt die spirituelle Welt für sich und meint: „Die Persönlichkeit eines Musikers wird nicht von der Musikwelt geprägt, in der er sich ständig aufhält. Wichtig sind auch die spirituellen Orte, die er besucht …“
Irene Langemann ist ein zweiter bemerkenswert anrührender Dokumentarfilm gelungen, der die Protagonisten nie bloßstellt, nichts beschö-nigt und pure Einblicke bietet.