„Der Arbeit, die Musik dem Film anzupassen, habe ich mich gerne unterzogen. Ich darf wohl annehmen, daß die aus Motiven der ,Rosenkavalier‘-Musik geschaffene Filmmusik ihre Wirkung nicht verfehlen wird, umso mehr, als der Regisseur des Films schon bei der Inszenierung auf das Musikalische des Werks insoferne Rücksicht genommen hat, als er die einzelnen Szenen unter den Klängen der ,Rosenkavalier‘-Musik inszenierte, also gewissermaßen den Rhythmus der Musik auf den Rhythmus der Gesten übertrug. Ich werde mich sehr darüber freuen, wenn der ‚Rosenkavalier‘-Film in den breiten Massen als Volks-Filmoper neue Freunde gewinnt.“
Richard Strauss wusste schon 1926 auf der Klaviatur der Öffentlichkeitsarbeit zu spielen, und vieles, was er in der Zeitschrift „Mein Film“ zu Robert Wienes Rosenkavalier-Verfilmung äußert, klingt uns zu Zeiten, wo Anna Netrebko und Rolando Villazón sich anschicken, als Puccinis Bohème-Liebespaar die Kinos zu erobern, merkwürdig aktuell in den Ohren. Freilich gilt es zunächst einmal, zwei Punkte aus Strauss’ publikumswirksamer Verlautbarung etwas genauer zu betrachten. Denn zum einen war es in der Hauptsache nicht Richard Strauss selbst, der seine dreieinhalbstündige Erfolgsoper von 1911 zu einem „Rosenkavalier ohne Worte“ von gut zwei Stunden umgearbeitet hatte; dies überließ er seinen Assistenten Karl Alwin und Otto Singer. Zum anderen war die Relation „prima la musica, poi il cinema“ nicht ganz so klar abgegrenzt, wie Strauss es suggerieren wollte.
Während man im vorzüglichen, knapp 300 Seiten starken Begleitbuch zur DVD-Edition des Rosenkavalier-Stummfilms zur letztgenannten Frage die unterschiedlichen Standpunkte von Film- und Filmmusikhistorikern detailliert nachvollziehen kann – vor allem Nikolaus Wostrys überaus lehrreicher Beitrag zur filmischen Rekonstruktion bezieht hier klar Stellung –, hätte man über den genauen Arbeitsprozess und Strauss’ Anteil daran gerne mehr erfahren. Immerhin war er bereit, eigens für den Film einen Militärmarsch zu komponieren und – gegen ein stolzes Salär – die Premiere und weitere Aufführungen als Dirigent zu begleiten.
Hier war es in der Tat so, dass der – zu langen – Musik die Dramaturgie des Films geopfert wurde. Er musste zum Teil verlangsamt vorgeführt, an manchen Stellen sogar ganz gestoppt werden – einer der Gründe, warum der Film nicht den erhofften Erfolg erzielte, auch finanziell: Die Produktionsfirma kam ins Straucheln, musste auf die Filmrechte verzichten, Kopien wurden vernichtet.
Umso schwieriger gestaltete sich dementsprechend die Rekonstruktion, die 2006 mit sensationellem Erfolg in der Dresdner Semperoper stattfand und nun in einer mustergültigen DVD-Edition des Filmarchivs Austria vorliegt. Sie kann aus vielerlei Gründen keine „Urfassung“ darstellen, kann aber in der komplexen Korrespondenz von Bild und Ton (ermöglicht durch die musikalischen Kürzungen Bernd Thewes’) einen Eindruck von dem vermitteln, was den Beteiligten 1926 vorschwebte. Faszinierender noch als manche ganz unmittelbar synchronen Momente von Handlung und Musik, ist der Gleichklang von Stimmungen, der durch Alfred Rollers herrliche Szenerien und Kostüme, das stumme, gleichwohl beredte Spiel der Darsteller (ausgerechnet der Sänger Michael Bohnen stellt als Ochs die Schauspieler immer wieder in den Schatten) und den quasi unendlichen symphonischen Atem der frei zwischen Walzer- und Marschidiomen sowie den Charakter- und Szenenmotiven changierenden Partitur, erzeugt wird. Die Dresdner Staatskapelle unter Frank Strobel als luxuriöses Filmorchester trägt hierzu Entscheidendes bei.
Kaum auszudenken, was entstanden wäre, wenn sich das Drehbuchteam auf das eingelassen hätte, was Hugo von Hofmannsthal zunächst als Drehbuchentwurf vorgesehen hatte: Er wollte nicht, wie am Ende geschehen, die Opernhandlung durch einige zusätzliche Schauplätze und Figuren (etwa die des Feldmarschalls) erweitern, sondern eine ganz andere Geschichte erzählen, nämlich jene, die dem aus der Oper bekannten Plot vorausgeht. In diesem Fall hätte es wirklich einer komplett neuen Filmmusik bedurft und Strauss hätte als deren Pionier in die Geschichte eingehen können. Was bleibt, ist das unschätzbare Dokument einer abgesunkenen Epoche.