Wie ein Phantom betritt Gene Tierney in Otto Premingers Film Noir „Whirlpool“ die geheime Kammer ihres Ehemannes, eines Psychoanalytikers. Unter Hypnose stiehlt sie eine Platte aus seinem Archiv. Und dazu erklingt die geheimnisvolle Musik von David Raksin. Erst jetzt ist diese Musik auf Tonträger veröffentlicht worden, zusammen mit Raksins anderen tollen Scores für Otto Preminger: „Fallen Angel“, „Daisy Kenyon“ und natürlich „Laura“. „Preminger at Fox“ heißt die Doppel-CD, die bei Kritzerland erschienen ist. Als Bonus gibt es die Filmmusik von Cyril J. Mockridge für den Preminger-Klassiker „Where The Sidewalk Ends“.
In den vierziger Jahren war David Raksin bei der Fox Hauskomponist des Wiener Emigranten Otto Preminger gewesen. Fox-Göttinnen wie Gene Tierney oder Linda Darnell schenkte er auf der Leinwand eine mys-teriöse Melodie. In seinen großen melancholischen Phantom-Scores zu „Forever Amber“ oder „Fallen Angel“ begannen – wie bei dem „schwarzen Romantiker“ Bernard Herrmann – die Grenzen zwischen Melo und Film Noir zu zerfließen. Als David Raksin vor zehn Jahren starb, verschwand mit ihm der letzte Überlebende des „Golden Age of Film Music“, das gerade von Künstlern wie Daniel Hope mit Projekten wie „Escape To Paradise“ wiederbelebt wird (siehe links). Dabei war David Raksin einer der wenigen echten Amerikaner in dieser Komponistenclique aus Mitteleuropa gewesen. Geboren 1912 in Philadelphia, ging er mit 21 Jahren nach New York, um dort als Musiker und Arrangeur für Jazzorchester und Musikverlage zu arbeiten. 1935 schließlich wurde er von den zwei Orchestratoren Herb Spencer und Eddie Powell, für Hollywood entdeckt. Es war Charlie Chaplin, der einen musikalischen Mann für alles brauchte.
David Raksin erinnerte sich an die Arbeit an Chaplins „Moderne Zeiten“ später: „Charlie und ich arbeiteten Hand in Hand. Manchmal bestand das Ausgangsmaterial aus mehreren Phrasen, manchmal nur aus ein paar Tönen, die Charlie pfiff, summte oder auf dem Klavier anschlug. Wir verbrachten Stunden, Tage, Monate im Vorführraum und ließen immer wieder aufs neue Szenen und Handlungsausschnitte durchlaufen, und es hat uns großen Spaß gemacht, die Musik zu formen, bis sie genau so war, wie wir sie haben wollten.“ Noch heute pfeifen die Spatzen das berühmte „Smile“ daraus von allen Dächern. Selbst Michael Jackson hat den Chaplin-Song in sein Repertoire genommen. Aber der Preis dieser ungewöhnlichen Arbeitsmethode war hoch. Für die Musiker sei das damals die reine Folter gewesen, meint Charles Chaplin Jr. Und Raksin, der täglich 20 Stunden gearbeitet habe, habe oft vor Erschöpfung keine Kraft mehr gefunden, nach Hause zu gehen. Aber Raksin hatte sich damit in Insiderkreisen einen Namen gemacht.
1944 kam dann die ganz große Chance. Weil man Otto Premingers „Laura“ bei der Fox keine große Chance gab, beauftragte Alfred Newman den jungen Raksin damit. Eigentlich wollte Preminger als Leitmotiv George Gershwins „Summertime“ verwenden, aber sein Bruder lehnte die Idee ab. Dann kam Duke Ellingtons „Sophisticated Lady“ ins Spiel, weil Preminger in Laura ein Flittchen sah. Raksin aber lehnte den Titel als unpassend ab. Und so setzte ihm Preminger ein Ultimatum. Wenn er bis Montag keine Melodie fände, würde er den Ellington-Song nehmen. Raksin fiel nichts ein, bis ihm ein Abschiedsbrief seiner Frau in die Hände fiel. Und so spukt „Laura“ nun bis heute in unseren Träumen herum – und es erklingen in uns dazu die wunderbaren Liedzeilen von Johnny Mercer: „... but she’s only a dream“.