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Wenn die Bilder aus dem Publikum genau so spannend sind wie die von der Bühne: links oben Anita O‘Day beim Newport Jazz Festival. Fotos: Rapid Eye Movies
Wenn die Bilder aus dem Publikum genau so spannend sind wie die von der Bühne: links oben Anita O‘Day beim Newport Jazz Festival. Fotos: Rapid Eye Movies
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Jazz und Soul verlängern den Musiksommer

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Restauriert im Kino und erstmals im Pay-TV: „Jazz an einem Sommerabend“ und „Summer of Soul“
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Der Sommertag in Newport in Rhode Island an der amerikanischen Ostküste beginnt ganz gemächlich: Boote spiegeln sich im Wasser, Hunderte von aufgestellten Holzklappstühlen werden nochmals inspiziert, ein Hund läuft durch den Gang, erste Soundchecks finden auf einer der Bühnen statt. Währenddessen bereitet man sich parallel auf die Segelregatta „America‘s Cup“ vor.

Es wird noch richtig warm später – damals 1958. Leute kauen Kaugummi, basteln sich Kopfbedeckungen. Als einer der Ersten betritt nachmittags Thelonious Monk die Bühne. Regisseur Bert Stern, eigentlich Mode- und Werbefotograf, später berühmt geworden durch seine Bilder von Marilyn Monroe, versteht es meisterhaft, in diesem Filmdokument, das bereits 1959 in die Kinos kam und jetzt in 4k und glanzvollem Ton frisch restauriert wiederauflebt, die Atmosphäre dieses besonderen Tages einzufangen. Mode, Lifestyle und Jazzlegenden inklusive. Da gibt es schräge Karo-Outfits, neueste Hutmodelle und spielende Kinder zu betrachten, und Monks Klaviertöne untermalen Bilder von den Segelbooten. Es ist Ferienzeit, die Luft riecht nach Freiheit, und Jazz ist ein verbindendes Lebensgefühl von Weiß und Schwarz. Wenigstens diesen einen Tag lang. Es wird kräftig geraucht, gegessen und nebenbei in Groschenheftchen gelesen. Aufnahmen von Bandproben und Sessions vervollständigen das Panorama.

Alle Größen des Jazz

Alles was damals Rang und Namen hatte, ist hier versammelt auf den verschiedenen Bühnen des Festivals: Den Anfang am Abend macht Anita O’Day mit „Sweet Georgia Brown“ – ein Augen- und Ohrenschmaus in Haute Couture. Es folgen das George Shearing Quintet, das Gerry Mulligan Quartet, das Chico Hamilton Quintet, Dinah Washington, eigenwillig in einer Art rosa Zelt gekleidet, um nur einige zu nennen. Und als Höhepunkt zum Schluss Louis Armstrong, der auch im Duett mit Jack Teagarden glänzt und gut gelaunt Schwänke aus seinem Leben und von seinen Reisen in der ganzen Welt erzählt. Die Sonne geht unter, Wasservögel ziehen ihre Kreise, und wer dann zum Schluss bei Mahalia Jackson nicht berührt und ergriffen ist, dem ist nicht mehr zu helfen. Perfekt für einen Kino-(Spät-)Sommerabend.

Summer of Soul in Harlem

Zehn Jahre später im Schwarzenviertel in New York: das Harlem Culture Festival feierte im Sommer 1969, im Woodstock-Jahr also, an sechs Wochenenden Schwarze Geschichte – und geriet in Vergessenheit. Die Dokumentation, die jetzt beim Streaming­anbieter Disney+ zu sehen ist, zeigt erstmals die Auftritte von Legenden wie Stevie Wonder, Gladys Knight, Mahalia Jackson und Nina Simone. „Niemand hat je vom Harlem Cultur Festival gehört, niemand würde glauben, dass es stattgefunden hat“, so ein Zeitzeuge. 50 Jahre lagerten die Aufnahmen im Keller des damaligen Regisseurs Hal Tulchin. Bis sie jetzt – angereichert mit vielen liebevollen Interviews unter ehemaligen Festivalbesuchern und Musikern plus weiterem historischen Filmmaterial – von Ahmir „Questlove“ Thompson zu diesem beeindruckenden Filmdokument schwarzer Musikgeschichte von Latin bis Jazz genutzt wurden.

Und so wird dadurch endlich auch die Popgeschichte insgesamt etwas gerade gerückt, wie der Kritiker Oliver Schwesig richtig bemerkte. Ein Dokument schwarzen Selbstverständnisses und Stolzes, das eine schmerzhafte Lücke schließt und das man sich nicht entgehen lassen sollte.

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