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Nils Petter Molvaer (li.) mit Ernest McCarthy, dem letzten Bassisten Garners. Foto: Hochkeppel

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Kino-Tipp 2024/06

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Der Vergessene
Vorspann / Teaser

„Misty – The Erroll Garner Story“, ein neuer Dokumentarfilm erinnert an den erfolgreichsten Jazzpianisten der 1950er-Jahre.

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Was der Münchner Pianist und Autor Ernst Burger schon 2006 im Vorwort seiner exzellenten im Conbrio-Verlag erschienenen Erroll-Garner-Biografie schrieb, gilt heute mehr denn je: Der berühmteste und erfolgreichste Jazzpianist der Fünfzigerjahre ist inzwischen nahezu vergessen. Umso erfreulicher also, dass der Franko-Schweizer Regisseur Georges Gachot, bislang vor allem für Filme über klassische Musikerinnen und Musiker bekannt, mit dem Dokumentarfilm „Misty – The Erroll Garner Story“ jetzt wieder an ihn erinnert. Nach der Weltpremiere während des DOK.fests im Deutschen Theater standen auch zwei Musiker auf der Bühne: Der norwegische Star-Trompeter Nils ­Petter Molvær, der für Film-Score verantwortlich war, und der 87-jährige Ernest McCarthy, Erroll Garners letzter Bassist. Berührend, wie beide direkt nach der Vorführung über zwei Garner-Stücke improvisierten. 

Mit dem Film kann man als Garner-Fan freilich nicht uneingeschränkt zufrieden sein. Zum einen, weil er nicht kritisch genug mit seinem Material umgeht, speziell mit der Schönfärberei alter amerikanischer TV-Shows. Etwa wenn Garner da gefragt wird, ob er je Nachteile erfahren hätte, weil er schwarz ist, und er „pflichtgemäß“ lügt: „Nein, nie. Ganz ehrlich.“ 

Noch schwerer wiegt, dass die Kunst Garners zu kurz kommt. Es gibt von kaum einem anderen Jazzer seiner Zeit so viele Filmaufnahmen, etliche davon illustrieren Garners nahezu unfassbare Spieltechnik plastisch. Ob aus rechtlichen Gründen oder erzählerischen Erwägungen: Gachots Film zeigt davon viel zu wenig. Stattdessen war der Regisseur auf der Suche nach einem Drama – was das Leben Garners, abgesehen von seinem frühen Tod, leider kaum hergibt. Also konzentriert sich Gachot stark, mitunter fast voyeuristisch, auf die noch lebende letzte Geliebte und die verschwiegene, nie anerkannte Tochter. Ihr bis heute anhaltendes Leid sagt aber wenig über Garner aus.

Man wünscht dem anfangs durchaus fesselnden Film trotz seiner Mängel eine möglichst erfolgreiche Kinoauswertung. Weil eine Wiederentdeckung Erroll Garners und seiner unerreichten, unkopierbaren, heute mehr denn je zugänglichen und mitreißenden Musik ähnlich wertvoll wäre wie die des nach seinem Tod bekanntlich ebenfalls jahrzehntelang vergessenen Johann Sebastian Bach. 

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