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Echt cooler Fernsehspot: Ein aufgebrachter Rockmusiker spuckt seinen Pappbecher-Kaffee gegen die Glasscheibe, die den Regie- vom Aufnahmeraum im Tonstudio trennt; dazu werden die horrenden Kosten eines professionellen Tonstudios eingeblendet. Dann die smarte Alternative, das zu bewerbende Produkt: der Music Maker V 2000 – „Click your own music & video hit“. Die simple und verführerische Message: Du brauchst keine Ahnung von Instrumenten, Musiktheorie, Songschreiben oder Musikbusiness haben, denn für nur 99 Mark kannst Du innerhalb einer halben Stunde alles am häuslichen Computer erledigen.
Seit 1995 vertreibt die Firma MAGIX Entertainment aus München mit großem Erfolg den „Music Maker“, ein amüsantes Computer-Programm, mit dem man – gänzlich ohne umfangreiche Peripherie wie MIDI oder Mischpult – aus vorbereiteten Klangbausteinen einen „eigenen Hit“ zusammensetzen kann. Das hat nicht ganz so viel mit Musik-Machen zu tun, wie uns der Titel des Programms suggerieren will; der Benutzer vollzieht im Prinzip nur Puzzle-Schritte nach, die sich ausgebuffte Musikprofis vorher schon ausgedacht haben. Der Trick: innerhalb einer Arrangier-Abteilung, die zum Beispiel „Acid Jazz“ oder „Techno“ heißt, existiert nur ein einziges Tempo, alle Samples sind weitgehend rhythmisch und harmonisch aufeinander abgestimmt. Nicht einmal die Grundlagen der Harmonielehre werden benötigt: das Sample „git 3“ wird so mit dem Sample „bass 3“ kombiniert, Samples mit gleichen Ziffern passen harmonisch immer zusammen; „1“ steht für die erste Stufe, „2“ für die zweite, und so weiter.
Anders als die Installation eines komplexen MIDI-Arbeitsplatzes (Verbindung von Computer, Interface und Klangmodulen) vermittelt der Music Maker dem Jugendlichen das sofortige Gefühl von Machbarkeit und Beherrschbarkeit der Materie. Dazu eine Fülle von Extras, die normalerweise nur teuren Extra-Geräten vorbehalten sind: Hall, Delay, Time Stretching, Gate, Pitch Shifting und die Aufnahme von eigenen Gesangs- oder Instrumentenspuren.
Wem das Ziehen der Klangbausteine in das musikalische Raster des Programms noch zuviel Arbeit ist, dem hilft ein eingebauter „Song Wizard“, ein musikalischer Hexer, der alle gewünschten Samples nach rasch eingegebenen Ziffernfolgen ordnet. Ein weiterer Arbeitsschritt sortiert diese harmonischen Abläufe dann nach einem traditionellen Songraster: Intro, Strophe, Refrain, Solo, Refrain – in Nullkommanix ist der Song fertig.
Wem nun nach einer visuellen Komponente gelüstet, der wird mit kurzen Videoschnipseln und einer großen Anzahl von Schnappschüssen bedient, die man nach Lust und Laune mit dem eigenen Arrangement koppeln kann.
Spätestens an diesem Punkt wird einem Ästhetik und Zielgruppe des Programms besonders deutlich: Da tanzen oder hüpfen – wahlweise zu beats von 95, 110 oder 125 „beats per minute“ - meist weibliche Models (Amber, Dani, Luci oder Mina) im VIVA 1-Alter vor einem blauen Hintergrund belanglos durchs Bild; diese Hintergründe können dann ähnlich den Musiksamples mit der Blue Box-Methode weiter gestaltet werden. Dies alles hat den Charme einer Billig-Fluglinie: Wer es schafft, einen Drei-Minuten-Song inklusive Musikvideo ohne Absturz zu erstellen, verfügt über einen besonders fähigen Hochleistungsrechner. Normale Benutzer müssen jedoch bei derartig arbeitsspeicherplatzfressenden Anwendungen jederzeit mit Blackouts, fiesen digitalen Knacksern oder spontaner Arbeitsniederlegung seitens des Computers rechnen.
Dennoch hat sich MAGIX Entertainment zwei ambitionierte Ziele gesteckt. Zum einen soll mit verbesserten Versionen des „Music Makers“ und seiner Schwesterprogramme „Music Studio“ und „Live Act“ der professionelle Studiobereich interessiert werden, zum anderen tritt MAGIX mit einer groß angelegten „Giveaway“-Aktion an die Schulen heran. Das Landesinstitut Nordrhein-Westfalen für Schule und Weiterbildung bewertete die vorgelegten Programme als „pädagogisch empfehlenswerte Softprodukte“ und MAGIX verschickte großzügig CDs mit kostenlosen Schulversionen, die bei entsprechender Ausstattung des Computerraums sofort eingesetzt werden können. Die leicht geschürzten Video-Damen Amber, Dani, Luci oder Mina sind selbstverständlich nicht auf dieser Schul-Software enthalten, ein Bestellformular für neugierig gewordene Schüler liegt jedoch klugerweise dabei.
Albernheiten beiseite: Der Music Maker hat vorgemacht, wie musikalisches Entertainment der Zukunft aussehen kann, andere Firmen haben längst mit ähnlichen Programmen im Billigpreis-Segment nachgezogen. Die rasante Weiterentwicklung von Computerleistung und Speicherkapazitäten wird das häusliche Produzieren am Computer noch preiswerter und noch amüsanter machen und die letzten Reste unseres werkorientierten Verständnisses von Kunst und professionellem Musizieren hinwegfegen. Mehr noch als die Einführung des MP3-Formats im Internet stellt preiswerte Musik-Software die Stellung traditioneller Musik-Business-Strukturen in Frage, Fluch für die einen, Segen für jedermann. Alles ist in Bewegung.