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Nachruf auf einen Lebenden

Untertitel
Hans Otte überlebt seinen Nachruhm mit Ingo Ahmels „Klang der Klänge“
Publikationsdatum
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Ingo Ahmels: Hans Otte – Klang der Klänge / Sound of Sounds (edition neue zeitschrift für musik), Schott, Mainz 2006, 172 S., zweisprachig mit DVD/CD, € 29,90, ISBN 978-3-7957-0586-2

Doppel-CD Sonderedition von ERP Musikverlag, :da capo: und Radio Bremen zum 80. Geburtstag von Hans Otte, Celestial Harmonies 12069-1 und -2, celestial [at] harmonies.com (celestial[at]harmonies[dot]com)

Hans Otte: Stundenbuch (1991–1998), 48 Stücke für Klavier zu 2 Händen in 4 Heften, Faksimile-Reproduktion der Handschrift des Komponisten, M-700252-17-5, E.R.P. Musikverlag Eckart Rahn, Berlin 2006
celestial [at] harmonies.com (celestial[at]harmonies[dot]com)

Hans-Otte-Werkverzeichnis, Filme/Fotos/Vita/Werk-Dokumentation
dacapo [at] blockland.de (dacapo[at]blockland[dot]de)

„Wir kennen ihn als stillen Beweger. Die laute Welt vergisst Leute seines Schlages leicht...“ beginnt Lutz Lesle in der „Welt” vom 29.11.2006 seinen Text zur Hans-Otte-Aufführung in der Hamburger Freien Akademie. Das veröffentlichte Musikleben mag ungerecht, undankbar und sehr vergesslich sein. Es muss beim Künstler jedoch auch eine Persönlichkeitsstruktur existieren, die auf sich selbst aufmerksam machen will, Narzissmus, Selbstbespiegelung und Geltungsbedürfnis müssen eine Rolle spielen. Oder ein Künstler hat hingabevolle Helfer wie Verleger oder Biographen; im Falle Hans Ottes ist das im besonderen der Autor des soeben erschienenen Buches „Klang der Klänge/Sound of Sounds“, der Musiker und Musikologe Ingo Ahmels aus Bremen.

Wer nicht glaubt, dazu gehören zu müssen, selbstgenügsam, mit dem Segen eines inneren spirituellen Weges “ichfrei” zu wirken vermag und absichtslos handeln kann, der mag nach außen hin in Vergessenheit geraten. Und eine Hoffnung auf späte Genugtuung in Form der Wiederentdeckung zu Lebzeiten impliziert eine vorhergegangene Demütigung oder vermeintliche Zurücksetzung. Wer wie John Cage den (buddhistischen) Spruch verinnerlicht: „Don‘t look for the fruits of your karma“, den mag später Ruhm eher amüsieren, wenn dieser noch erlebt wird, wie von Feldman und Scelsi oder jetzt vom 80-jährigen Hans Otte, bei dem stets alles „seinen guten Gang“ ging.

Die Doppel-CD mit Hans Otte als eigenem Interpreten seiner Klaviermusik, welche von Celestial Harmonies neben der Faksimileausgabe des Otteschen Stundenbuches Ende 2006 veröffentlicht wurde, enthält einen kundigen booklet-Text von Ingo Ahmels, der sich als profunder Kenner des Otteschen Werkes erweist. Am Ende ist da folgendes zu lesen: „Vom Autor des Textes liegt bei Schott Music International eine umfängliche Darstellung zu Leben und Werk Hans Ottes vor. Die zweisprachige Publikation, der eine Audio-CD und eine DVD beigefügt sind, trägt den Titel ‚Hans Otte – Klang der Klänge/Sound of Sounds‘. Neben Studien zu Ottes Klaviermusik und seiner Klangpoetik enthält die Veröffentlichung eine Fülle audiovisueller Informationen, die der Öffentlichkeit großenteils erstmals zugänglich gemacht werden“.

In der Tat zeichnet „Klang der Klänge“ eine imponierende Vollständigkeit aus – ist selbst ein Lebenswerk mithin – und die Fülle des Materials ist anschaulich geordnet, als Promotionsarbeit dennoch spannend lesbar und hervorragend zu verwenden im Theorie- und Analysebereich jeder Musikhochschule. Darüber hinaus wird der Klangkünstler und Radiomacher beschrieben, der in Europa immer noch unterschätzt und vom „anglo-amerikanischen Kulturraum gerade erst“ wahrgenommen wird.

„ Die auch deshalb zweisprachig gefasste Studie zur Biografie und zum künstlerischen Schaffen des unaufdringlich Kreativen beleuchtet dessen weltanschauliche und ästhetische Orientierung und stellt die Grundlagen für eine angemessene Rezeption bereit“ (Covertext). Alleine die lebendige DVD mit einem faszinierenden Video-Monolog Ottes zu „seinem“ 20. Jahrhundert und dem bewegenden Gespräch mit dem Pianisten Herbert Henck über Otte als Cage-Vermittler macht die ganze Veröffentlichung besonders wertvoll!

Ingo Ahmels („infolge jahrelanger unbezahlter Otteforschung fast pleite“) zieht in einer Synopse innerhalb der „Summa“ seiner großartigen Arbeit Bilanz, indem er Ottes Ansatz der ästhetischen Sensibilisierung als poetischen Reflex gegen die „als totalitär vereinnahmter Jugendlicher erlittene Verrohung“ deutet, der, von seinen aufbauenden Erfahrungen im demokratischen Nachkriegs-Amerika beseelt, zeitlebens in profunder und leidenschaftlicher Weise „einstand für den kulturellen Aufbruch der deutschen Bundesrepublik“, um den „Horizont von monokausalen Dogmatismen zum offenen System des ästhetischen Pluralismus zu weiten.“

Der ,Piano Man‘ Otte ertastete unbeirrt auf abendländisch-induktive Weise seinen persönlichen Weg zum ganz eigenen Klang der Klänge. Zwei große Klavierzyklen gerieten ihm so zu Meisterwerken, in letzterem näherte er sich seinem Freund John Cage, jedoch nicht aus orientalischem, sondern aus okzidentalem Geist der fernöstlichen Zen-Metapher und machte sich deren Perspektive auf das Sosein der Dinge mit gebotener Langsamkeit künstlerisch und persönlich zunutze.

Wünschenswert wäre insbesondere die genauere Aufarbeitung der Rundfunkarbeit Hans Ottes. Damit ließe sich dazu beitragen, der Musikarbeit im Rundfunk ein historisch fundiertes Selbstverständnis zurückzugeben.“ (Ahmels, S. 130f.)

Die vorliegende Studie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mit dem Otte-Werkeverzeichnis und dem digitalen Materialpool Grund für weitere Projekte zur Erforschung des komplexen Schaffens und Wirkens Hans Ottes zu legen. Diese Aufgabe ist hier bestens und zukunftsweisend gelöst.

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