Eigentlich ist es ein Wunder, dass es bis vor kurzem nur ein Biopic über eine der schillerndsten Figuren US-amerikanischer beziehungsweise afroamerikanischer Jazzgeschichte gab: Billie Holiday. Das erste mit Diana Ross in der Hauptrolle kam 1972 in die Kinos. Grundlage war die 1956 erschienene Autobiografie der Künstlerin „Lady Sings The Blues“ – so auch der Titel des Films, der momentan nur in einem US-amerikanischen DVD-Format und in englischer Sprache erhältlich ist. Und wie Andra Day im jetzt ebenfalls auf DVD (Capelight) erschienen Film „The United States vs. Billie Holiday“ erhielt Diana Ross damals eine Oscarnominierung und wurde mit einem Golden Globe ausgezeichnet.
Billie Holiday, 1915 als Elionora Harris, besser vor der Annahme ihres Künstlernamens als Eleanora Fagan bekannt, hatte alles andere als eine glückliche Kindheit in Philadelphia. Die ersten zehn Jahre ihres Lebens verbrachte sie bei der Schwiegermutter einer Halbschwester ihrer Mutter, mit elf Jahren musste sie viele Stunden im neu eröffneten Restaurant von ihr arbeiten, brach die Schule ab und wurde von einem Nachbarn vergewaltigt. Sie kam „zu ihrem Schutz“ in ein katholisches Erziehungsheim, das sie mit zwölf wieder verließ, als ihre Mutter in einem Bordell zu arbeiten begann. Dort war sie als Botenmädchen tätig, später, nach einem Umzug nach Harlem in New York, auch als Prostituierte.
Vor diesem „familiären“ Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Billie – ihren Künstlernamen nahm sie an, als sie 1929 zum ersten Mal als Sängerin in einem Club auftrat – früh mit Gefängnis, Alkohol und Drogen in Berührung kam. Dort setzt der Film Ende der 1930er-Jahre ein. Das Drehbuch basiert auf dem Bestseller „Drogen – Die Geschichte eines langen Krieges“ von Johann Hari, verfasst wurde es von der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Suzan-Lori Parks.
„Lady Day“, den Spitznamen soll ihr ihr Freund Lester Young gegeben haben, hat inzwischen eine beachtliche Karriere etwa in den Orchestern von Duke Ellington und Benny Goodman zurückgelegt und zahlreiche Schallplattenaufnahmen aufzuweisen. Gespielt wird sie von der Grammy-Gewinnerin und Soulsängerin Andra Day, selbst eine glühende Billie-Verehrerin, wie ihr Künstlername beweist, die alle Songs im Film auch selber gesungen hat. Regie führte Lee Daniels, zweifach Oscar-nominiert für das Rassismus-Drama „Precious – Das Leben ist kostbar“.
Es ist die Zeit der Rassentrennung, und der amerikanischen Regierung ist die international gefeierte Sängerin ein Dorn im Auge. Nicht zuletzt wegen ihres Protestsongs „Strange Fruit“, der die rassistisch motivierten Lynchmorde an Schwarzen in den Südstaaten der USA thematisiert. Obwohl immer wieder von ihr verlangt, lehnt sie es ab, ihn aus ihrem Repertoire zu streichen. In einem Hotel, in dem sie auftritt, muss sie den Lastenaufzug benutzen – solche Erfahrungen lassen sie oft zutiefst gedemütigt zurück. Ein Schicksal, das sie mit vielen afroamerikanischen Musikerkolleg*innen teilt. Zur Unterhaltung der Weißen durften sie zwar auftreten, damit war es mit ihren Sonderrechten aber auch schon vorbei.
Also wird ein schwarzer Agent auf sie angesetzt, der sie des Drogenmissbrauchs überführen soll, um sie so aus dem Verkehr zu ziehen. Im Film verliebt sich der vom Parade-Rassisten und Chef der Drogenkommission (FBN), Harry J. Anslinger (Garrett Hedlund), engagierte Jimmy Fletcher (Trevante Rhodes) hollywoodmäßig in die Diva und beginnt eine Affäre mit ihr. Die ohnehin interessante Story, die auf wahren Figuren und Tatsachen basiert, hätte diese Liebesgeschichte und die expliziten Sexszenen eigentlich gar nicht gebraucht. Langeweile wäre auch so nicht aufgekommen, denn Billie Holiday hatte eine Reihe von teils gewalttätigen Männerbeziehungen und -ehen, feierte das Begräbnis ihres Hundes in einer Kirche und versuchte das Leben eine Grande Dame zu führen.
Der Song „Strange Fruit“ basiert auf einem Gedicht von Abel Meeropol. Und das ist das wahrhaft Berührende an dem Film, dem man eine größere Aufmerksamkeit gewünscht hätte: 1978 wurde „Strange Fruit“, damit sind die aufgeknüpften blutigen Leichen umschrieben, in die Grammy Hall of Fame aufgenommen. Das Time Magazine nannte es das „Lied des Jahrhunderts“. Weiterhin brisant und interessant ist die Unterteilung in sogenannte schwarze und weiße Drogen: Während Stars wie Judy Garland, schwer Tabletten- und Alkohol-abhängig, von der Justiz und dem FBN völlig unbeachtet konsumieren konnten, wurde das „schwarze“ Heroin oder der Cannabis-Konsum gnadenlos geahndet.
Am 17. Juli 1959 starb Billie Holiday im Alter von 44 Jahren in einem New Yorker Krankenhaus an einer Leberzirrhose, quasi mit Handschellen ans Sterbebett gefesselt, weil Anslinger sie immer noch verfolgte. Jimmy Fletcher hatte inzwischen die Seiten gewechselt und traut sich im Film, sich ihm entgegenzustellen: „You hate her, because she ist strong, beautiful and black“. Die eigentliche Sensation ist Hauptdarstellerin Andra Day, der man trotz aller Längen, der oft kitschig geratenen Filmmusik und der etwas zefledderten Handlung noch drei Stunden zuschauen und zuhören könnte.
Im Februar 2020 befasste sich das Oberste Bundesgericht der USA mit dem Anti-Lynch-Gesetzentwurf „Emmett Till“, der bis heute noch nicht verabschiedet wurde.
- „The United States vs. Billie Holiday“
Warner Records
- Lesen Sie auch den Artikel von Claus Lochbihler zu James Erskines Doku-Biografie „Billie“, nmz 12/20-1/21 und unter www.nmz.de