„Kein Wort“ spricht der Sohn jedenfalls zu Anfang des Spielfilms, der am 4. Juli in die Kinos kommt. Genauso wie seine Mutter, die sich gerade auf ein wichtiges Konzert mit Gustav Mahlers 5. Sinfonie vorbereitet. Obwohl es so viel zu sagen gäbe, das wird auch von Anfang an klar. Lars wohnt mit Nina, der Dirigentin, allein, die Eltern sind geschieden. An der Schule wurde ein Mädchen getötet. Dann fällt Lars aus einem Fenster in der Schule. Wollte er es reparieren? Denn er macht gern Sachen wieder heil. Die Lehrerin und die Mutter wollen daran glauben. Dass es einfach ein Unfall war.
„‚Kein Wort‘ entstand aus einem Moment der Beobachtung in meiner Berliner Nachbarschaft“, erzählt Regisseurin und Drehbuchautorin Hanna Slak: „Wir wohnten gegenüber einer Schule, an der Ecke gab es einen kleinen Laden, vor dem Zeitungsständer standen, auf denen die schrecklichsten Dinge fett gedruckt waren, auf Augenhöhe eines Sechsjährigen, der gerade zu lesen begann. Einmal gab es einen Fall, in dem ein Schulmädchen ermordet wurde. Die meisten Kinder schenkten den Schlagzeilen keine Beachtung, aber einige taten es und waren schockiert. Haben sie es geschafft, einen Weg zu finden, darüber zu sprechen? Oder lautete die Botschaft der Erwachsenen, so zu tun, als sei es nie passiert, und einfach mit ihrem Leben weiterzumachen? Was für Narben hat dies bei ihnen hinterlassen?“
Nina, die wegen eines Plattenvertrags unter Druck steht und eigentlich keine Zeit hat, nimmt sie sich dann trotzdem und fährt mit Lars auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin zum Ferienhaus der Familie auf eine Insel im Westen Frankreichs. Es ist Winter, schon die Fahrt verspricht nichts Gutes. Alles ist grau, trüb und stürmisch. Dazu passt Mahlers zweiter Satz „Stürmisch bewegt“ in der Aufnahme der Berliner Symphoniker unter Sir Simon Rattle natürlich vorzüglich.
Wäre Mahler etwas später auf die Welt gekommen, wäre er sicher in der Filmmusikbranche berühmt geworden. Das ist er ja dann schon allein durch Viscontis Verwendung des Adagiettos im „Tod in Venedig“ trotzdem noch geworden. Ein Film, der von der gefühlvoll-dramatischen Musik Mahlers regelrecht getragen wird. Heute eines seiner meist aufgeführten Werke, beklagte sich Mahler 1905 übrigens nach einer erfolglosen Aufführung in Hamburg: „Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk. Niemand capiert sie.“ Seiner Zeit voraus, wie gesagt.
„Kein Wort“ ist nicht nur ein Film über eine Maestra, sondern auch über Frauen, die Kind, Karriere oder Arbeit unter einen Hut bringen müssen. Auch der meist abwesende Vater ist viel beschäftigt. Der Sohn hat zu Hause eigentlich keinen wirklichen Ansprechpartner nach dem traumatischen Erlebnis mit einer Freundin in der Schule, die erst vermisst und dann verbrannt aufgefunden wurde. Die slowenische Filmregisseurin und Drehbuchautorin Hanna Slak hat Mahlers 5. ganz bewusst als Schlüsselwerk ausgewählt. Denn auch der Komponist war nach dem Verlust von sechs Geschwistern im Säuglingsalter und dem eines eigenen Kindes traumatisiert: „Er hat sich in seinem Werk immer wieder damit auseinandergesetzt. Meine Idee war es, seine künstlerische Weisheit zu nutzen und seiner musikalischen Erzählung durch die emotionale Dunkelheit, die Verzweiflung, hin zur Liebe und zum Licht zu folgen. Die Fünfte Symphonie beginnt mit einem steifen und pompösen Trauermarsch. Die Steifheit löst sich auf, die Musik durchläuft Wut, Neurose, Verzweiflung, Hingabe... bis hin zur Bejahung des Lebens im Rondo Finale, dem vielleicht freudigsten und befreiendsten Stück in Mahlers Musik. Das ist meine Lesart der Symphonie“, so Hanna Slak.