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Schuhe binden, Heiratsantrag stellen: Barbara Romaner und Johannes Silberschneider als Alma Schindler und Gustav Mahler in Percy und Felix Adlons Film „Mahler auf der Couch“ (Kinostart 7. Juli). Foto: Kinowelt Filmverleih
Schuhe binden, Heiratsantrag stellen: Barbara Romaner und Johannes Silberschneider als Alma Schindler und Gustav Mahler in Percy und Felix Adlons Film „Mahler auf der Couch“ (Kinostart 7. Juli). Foto: Kinowelt Filmverleih
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Szenen einer Ehe, Fragmente einer Symphonie: „Gustav Mahler auf der Couch“ – der Film zum 150. Geburtstag

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Wenn Kurt Blaukopfs vielzitierte These zutrifft, dass erst die Stereoaufnahmen der 1960er-Jahre der Mahler’schen Symphonik zum Durchbruch verholfen hätten, so müsste die Bedeutung eines weiteren Faktors innerhalb dieses Siegeszuges in der Rückschau eigentlich relativiert werden: Denn genauso wie Luchino Viscontis großzügige und nicht durchweg subtile Verwendung des „Adagiettos“ aus der fünften Symphonie in seiner Thomas-Mann-Verfilmung „Der Tod in Venedig“ von 1971 dessen fragwürdige Popularität als abgekoppeltes Wunschkonzert-Stück maßgeblich mitbegründet haben dürfte, so hätte der wenig überwältigende und im Laufe der sich verschlechternden Filmkopien zu fast karikaturesker Dürftigkeit sich abnutzende Klang der verwendeten Aufnahme eigentlich das Gegenteil bewirken müssen.

Die Suggestivkraft der Kombination aus bildmächtig-morbidem Venedig-Charme, dem traurig-sehnsuchtsvollen Blick Dirk Bogardes und der unwirklichen Süffigkeit von Mahlers Musik war aber stark genug, diese Diskrepanz vergessen zu machen. Und die ikonografisch-klangliche Wirkung dieser Verbindung war so durchschlagend, dass der Regie-Querkopf Ken Russel seinen Mahler schon drei Jahre später Aschenbach- und Tadzio-Doubles so imaginieren lassen konnte, dass es Hommage an den Kino-Kollegen und Persiflage zugleich sein konnte.

Ken Russels vor Fantasie und Bildwitz sprudelnder Mahler-Film – eine herrlich durchgeknallte, oft krude, in vielen Momenten aber durchaus hellsichtige Reise durch des Komponisten zu diesem Zeitpunkt noch nicht annähernd erschlossene Psyche – ist bis vor Kurzem der einzige Versuch geblieben, Mahlers Leben in jenes „große Kino“ zu verwandeln, das seine Biografie durchaus hergibt. Nun, zum 150. Geburtstag, kommt ein Film in die Kinos, der von einer mehr sagen- denn faktenumwobenen Begegnung ausgehend jene Beziehung zu erschließen versucht, die seit jeher wie kaum ein anderer Punkt im Mittelpunkt des biografischen Interesses gestanden hat: die Beziehung zu Alma Schindler, die 1902 Alma Mahler wurde.

Dass Percy und Felix Adlon das nur einige Stunden währende therapeutische Gespräch Mahlers mit Sigmund Freud im holländischen Leiden vom August 1910 zum Ausgangspunkt ihres Films gewählt haben, erweist sich dabei als dramaturgisch effizienter Schachzug, weil dadurch nicht nur die wenig überraschende Möglichkeit zu Rückblenden, sondern auch eine flüchtige ironische Brechung ermöglicht wird, die den Zug ins Melodramatische, die der Schilderung der Ehekrise und ihrer Vorgeschichte naturgemäß innewohnt, abmildert, intermezzohaft rhythmisiert:

Freud versucht, mit dem forschen Spaziergänger Mahler Schritt zu halten, brummelt dem Wiener Hofoperndirektor, dessen Werke er nicht kennt, Mozarts „La ci darem“ bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt vor und schafft es, nachdem man sich in den menschenleeren Leidener Straßen verirrt hat, schließlich doch noch, Mahler auf die Hotelzimmer-Couch und dahin zu bekommen, auch über den körperlichen Vollzug seiner Ehe zu sprechen. Bis tief in die Nacht hinein zieht sich bei Vater und Sohn Adlon dieses Gespräch, eine (nicht belegte) Teilhypnose inbegriffen, nach der, so Freud, „das Gestein in Bewegung“ kommt und die Sitzung in tiefere Schichten vordringt.

Auch die Rückblenden springen nun von Mahlers Zusammenbruch nach der Entdeckung der Affäre Almas mit Walter Gropius zurück in die kurze, heftige Phase des Kennenlernens und Verliebens knapp neun Jahre zuvor. Neben wenigen, hart am Kitsch vorbeischrammenden Momenten (Alma geht in ihrer Aufgabe als Kopistin auf …) ist hier vieles auf der Basis historischer Fakten filmisch gut gelöst, was nicht zuletzt an der ausgezeichneten Besetzung liegt. Dass gerade Barbara Romaners Alma eine so intensive und beinahe ungeteilt sympathische Leinwandpräsenz entfaltet und trotz Johannes Silberschneiders glaubwürdigem Mahler-Porträt zur eigentlichen Identifikationsfigur avanciert, gerät freilich zur Hypothek der Unternehmung: Denn mit dem – vielleicht dem Blickwinkel des Patienten Mahler geschuldeten – Fokus auf einer zur Heroin weiblicher Selbstbestimmung stilisierten, vom Gatten zum Kompositionsverzicht genötigten jungen Frau ist der viel komplexeren Problematik dieser Beziehung eben nicht beizukommen. Liest man die entsprechenden Passagen aus Jens Malte Fischers fantastischem, nun auch als Taschenbuch erhältlichem Mahler-Buch (dtv/Bärenreiter), wird schmerzlich bewusst, welche Chance zur Differenzierung hier vergeben worden ist.

Ein bemerkenswerter Film bleibt „Mahler auf der Couch“ dennoch, denn er zeigt, dass der Umgang mit Originalmusik darüber hinausgehen kann, die Bilder mit emotional und biografisch passenden Passagen zu übergießen. Die unvollendete Zehnte, deren mit verzweifelten Alma-Anrufungen versehenes Autograf die Witwe in späteren Jahren wie eine Jagdtrophäe in der Vitrine ausstellte, wäre hier das naheliegende Material gewesen. Doch Percy und Felix Adlon haben den – von den verbreiteten Aufführungsfassungen mittlerweile fast übertünchten – Fragmentcharakter des Werkes beim Wort genommen und Esa-Pekka Salonen gebeten, daraus auch vereinzelte Stimmen oder Instrumentengruppen aufzunehmen. Das so gewonnene Material hätte gewiss noch konsequenter anstelle der dennoch vorhandenen Tuttiausschnitte Verwendung finden können, das Verfahren zeitigt aber auch so markante filmmusikalische Momente, die auf noch zu erschließende kreative Möglichkeiten verweisen.

Für einen noch zu drehenden, ultimativen Mahler-Film könnte neben diesem Verfahren einst vielleicht auch Matthew Herberts „Mahler Symphony X“ als Inspiration dienen. Seine bei der Deutschen Grammophon erschienene „Rekomposition“ der Zehnten ist eine verfremdende Übermalung, hinter der jedoch Giuseppe Sinopolis Einspielung des Adagios jederzeit kenntlich bleibt. Das Wissen um die morbiden Aufnahmesituationen (die Musik tönte unter anderem aus den Lautsprechern eines Krematoriums und aus einem Sarg) ist zwar mitunter interessanter als das klangliche Ergebnis selbst, der Schatten, der sich über die Musik legt, ist aber immer wieder auf verstörende Weise präsent und erinnert daran, dass Mahlers Musik mittlerweile vielleicht zu selbstverständlich geworden ist.

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