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Tagträume zwischen Berlin, Wien und London

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„The Weimar Touch“: Großartige Retrospektive der Berlinale
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Am Ende von Orson Welles‘ Film Noir „Touch of Evil“ erklingt noch einmal das Pianola, das Marlene Dietrich vermutlich aus dem legendären „Blauen Engel“ abschleppen hat lassen. Als Erinnerung an die Zeit, in der sie als „fesche Lola“ der „Liebling der Säsong“ gewesen war. Drei bewegte Jahrzehnte liegen zwischen „Der blaue Engel“ und „Touch of Evil“, in der der geniale Ufa-Produzent Erich Pommer die „Musikalisierung des Kinos“ bis 1933 vorantrieb, die Ufa „entjudet“ wurde, die jüdischen Regisseure, Schauspieler, Autoren oder Komponisten ins Exil gezwungen wurden (und dort vor allem den Film Noir und das Melodrama prägten), der II. Weltkrieg ausbrach und einige der von den Nazis vertriebenen Künstler auch noch wegen angeblicher „unamerikanischer Umtriebe“ Opfer von Senator McCarthy wurden, der zur großen „Hexenjagd“ aufgerufen hatte. .

 Und in diesen drei Jahrzehnten sind auch die über 30 Filme entstanden, die die Deutsche Kinemathek zusammen mit dem New Yorker Museum of Modern Art in der diesjährigen Berlinale-Retrospektive präsentiert hat. Mit im Boot war zum ersten Mal auch Hans-Michael Bock von „Cinegraph“ Hamburg, der einige der raren Exil-Filme aus den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien oder Portugal beisteuerte.

Wer wollte, konnte „The Weimar Touch“ als Fortsetzung sehen von „Weimar Cinema 1919–1933“, der großen MoMA-Retrospektive, die im Winter 2010/11 in New York „talk of the town“ gewesen ist. Damals waren es vor allem die wunderbaren Tonfilmoperetten gewesen, die in den USA endlich als innovative Gegenstücke zu den Hollywood-Musicals wahrgenommen wurden. Und so passt es, dass der Link zwischen beiden Reihen Reinhold Schünzels musikalische „gender study“ „Viktor und Viktoria“ gewesen ist, die ein halbes Jahr nach der „Machtergreifung“ entstanden ist, und die noch ganz beseelt war vom antiautoritären, libertären Geist der jetzt verhassten Weimarer Republik. Blake Edwards hatte davon 1982 mit Julie Andrews ein großartiges Remake inszeniert, das aber auch sehr inspiriert war von einer britischen Fassung des Plots mit dem Music-Hall-Star Jessie Matthews, wie man jetzt entdecken konnte. Im Übrigen dürfte Matthews Performance in „First a Girl“ auch Vorbild gewesen sein für Liza Minnellis Verkörperung von Sally Bowles in Bob Fosses Berlin-Musical „Cabaret“.

Überhaupt brachte diese Retrospektive, die die internationalen Einflüsse des Weimarer Kinos nach 1933 aufzeigte, merkwürdige Begegnungen mit vielen Cabaret-Stars der Weimarer Republik. So spukten zum Beispiel fast alle wichtigen Erscheinungen aus dem Friedrich-Hollaender-Universum herum: Grete Mosheim war im britischen Musical „Car of Dreams“ wieder das „Mädelchen aus dem Büro“ – das in diesem Fall verblüffend an die junge Meret Becker erinnerte. Curt Bois huschte in „Casablanca“ als Pickpocket durchs Bild, die Vorlage für „Some Like It Hot“ hatte bereits in den frühen Dreißigern Hollaenders Conferencier Robert Thoeren geschrieben. In die Niederlande war dagegen Mitte der dreißiger Jahre sein einstiges „Nachtgespenst“ geflüchtet, um dort als Regisseur einige sehr solide Filme zu drehen wie den gezeigten Krimi aus dem Varieté-Milieu „Het Mysterie van de Mondscheinsonate“. 1944 haben ihn die Nazis in Auschwitz ermordet.

Einer der Höhepunkte war sicherlich eine musikalische Komödie aus dem Korpus des sogenannten „unerwünschten Kinos“ jüdischer Produzenten bis zum „Anschluss“ Österreichs 1938: „Peter.“ Im Stil der klassischen Ufa-Depressionskomödien wie „Ein blonder Traum“ inszeniert, ist Hermann Kosterlitz’ Gender-Spiel sicher das Herzstück dieser Außenseiterproduktionen, die mit einem lachenden und einem weinenden Auge „Saltos in die Seligkeit“ schlugen. Felix Joachimson hatte diese klassische „Tomboy“-Rolle der atemberaubenden Franziska Gaal auf den Leib geschrieben, die leider danach wegen ihres Akzents in Hollywood überhaupt nicht ankam – und 1940 wieder in ihre Geburtsstadt Budapest zurückkehrte. Im selben Jahr wie „Peter“ (1934) ist „Einmal eine große Dame sein“ entstanden, eine entzückende Tonfilm-operette von Gerhard Lamprecht, dem Gründer der Deutschen Kinemathek, der im Moment von der Filmwissenschaft gerade entdeckt wird. Als schönes Gegenstück zu „Car of Dreams“ konnte man diese Ufa-Produktion sehen, die viele ähnliche Überschneidungen mit dem britischen Film aufwies. „Einmal eine große Dame sein“ hätte im übrigen noch 1932 unter Erich Pommer entstanden sein können, nicht nur wegen Käthe von Nagy, dem Star aus „Ich bei Tag, du bei Nacht“.

Und dann gab es da auch noch den Film zu sehen, den Quentin Tarantino in „Inglourious Basterds“ verbraten hat: „Glückskinder“, das Schmuckstück der Ufa von 1936. Bis heute wird nachgeplappert, dass diese musikalische Komödie – mit dem Gassenhauer „Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn“ –, die im New Yorker Zeitungsmilieu spielt, der „amerikanischste“ aller Ufa-Filme sei. Dabei hat Paul Martin sie nach seiner Rückkehr aus Hollywood genau im Stil seiner Ufa-Tonfilmoperetten vor ’33 inszeniert. Aber weil sich die Nazis 1936, im Jahr der Berliner Olympiade, weltoffen geben wollten, wurde natürlich der „amerikanische Stil“ herausgestellt. Und die Erinnerung an die „Systemzeit“, die im Kino geprägt war von den „Erfindungen“ jüdischer Filmkünstler, sollte sowieso nicht hochkommen. So hat man „Glückskinder“ mit Pommers einstigem Traumpaar Harvey und Fritsch als „amerikanisch“ verkauft. Wenn es sein musste, waren die Nazis lieber amerikanisch als deutsch, weil das in diesem Fall Verrat am „Rassegedanken“ bedeutet hätte.

Ein weiteres schönes Beispiel für das „gespaltene Bewusstsein“ im so- genannten „Dritten Reich“, an das diese Retrospektive so en passant auch erinnerte.

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