„ Man kann Musik mit beinahe nichts kreieren. Sozusagen ohne Materie, einfach, weil etwas passiert, das das Nichts in Bewegung umwandelt.“ Wenn György Kurtág am Ende des Films „The Matchstick Man“ das Perpetuum Mobile aus seiner Sammlung „Játekok“ über die Tasten wandern lässt, wird dieses Credo ganz selbstverständlich zu Klang.
Judit Kele ist es gelungen, diesem faszinierenden Komponisten ganz ohne private Nabelschau sehr nahe zu kommen, und sie hat den Schlüssel dazu in der Musik gefunden. Kurtág bei der Probenarbeit zu eigenen oder fremden Werken zu beobachten, heißt, musikalisch notierte Gesten unmittelbar in körperliche übergehen zu sehen. Die Reduktion der Mittel bedeutet für ihn keinen Rückzug in eine unverbindliche Einfachheit, sondern eine Konzentration auf die Ausdrucksbereiche, in denen eine Trennung von geistiger Verdichtung und körperlicher Anspannung nicht mehr möglich ist. Die als Zugabe beigestellten Ausschnitte mit dem Orlando Quartett und Miklós Perényi intensivieren diesen Eindruck und ermöglichen die Fokussierung auf das Einzelwerk. Von den ursprünglich geplanten inszenierten Elementen hat Judit Kele am Ende nur wenige in den endgültigen Film übernommen, als wiederkehrendes Symbol bleibt die Schneekugel, ein Kosmos in der Miniatur.
Ä hnlich der Zugang zu Peter Eötvös: Auch in „The Seventh Door“ wollte Kele den Komponisten als Schauspieler einsetzen, beschränkte sich am Ende aber auf ein inszeniertes Gliederungselement, das an Bartóks „Herzog Blaubart“ angelehnt ist, ein Stück, das zu Eötvös’ Repertoire als Dirigent gehört. Pierre Boulez bringt die Blaubart-Metapher der sieben Türen für die Charakterisierung seines Kollegen ins Spiel, womit er keine dunklen Seiten, sondern eine Vielschichtigkeit meint, die sich bei näherer Bekanntschaft erweise. Judit Kele entwickelt daraus sieben grob chronologische Kapitel, die mal das kompositorische Werk, mal den nachschöpferischen Akt in den Mittelpunkt stellen, zwei Seiten musikalischer Betätigung, die für Eötvös untrennbar verbunden sind. Zielpunkt ist als „siebte Tür“ und als Summe seines Schaffens bis dahin die Tschechow-Oper „Drei Schwestern“.
Ebenso wie Eötvös ist auch Pierre Boulez ein Komponist, der seine Musik mit unprätentiöser Klarheit zu verbalisieren versteht. Und so profitiert auch Frank Scheffers Arbeit von der Konzentration auf das Einzelwerk, in diesem Fall auf „Eclat“, das dem Film auch den Namen gibt. Wir verfolgen die Einstudierung dieses Schlüsselwerks durch das Nieuw Ensemble unter Ed Spanjaard und Boulez’ präzisen Erläuterungen seiner Intentionen. Dass die Struktur des Werkes auch auf die des Films übergreift, ist ein Kunstgriff, von dem man nichts wissen muss, um zu spüren, dass das Medium sich ganz auf der Höhe des Kunstwerks bewegt. Kaum minder faszinierend der Mitschnitt einer Konzerteinführung mit Boulez in der Pariser Cité de la Musique, der die Ausfaltung des kurzen Klavierstücks „Incises“ zum (anschließend auch komplett gespielten) Ensemblewerk „Sur incises“ mit beispielhafter Klarheit vermittelt. Besser kann man das im Konzert kaum machen und besser kann man das wohl auch filmisch kaum umsetzen.
Frank Scheffers Film über Elliott Carter vermag dieses Niveau nicht ganz zu halten. Der von Carter selbst und anderen Interviewpartnern immer wieder hervorgehobene Faktor Zeit – auf den auch der Filmtitel „A Labyrinth of Time“ anspielt – wird in seinen Auswirkungen auf die Faktur der Werke nie wirklich plastisch. Die gestellten Szenen mit Carter (die anders als bei Judit Kele aber nicht so wirken sollen) entgehen nicht ganz der Gefahr der Betulichkeit. Ein schöner Moment ereignet sich freilich in der Pariser „Ecole normale de Musique“, wo Studierende dem Komponisten bei dessen Besuch seine im Unterricht bei Nadia Boulanger entstandenen makellosen Kontrapunktstudien vorsingen.
Auch Georges Aperghis ist in Catherine Maximoffs Film „Storm Beneath a Skull“ kein sonderlich ergiebiger Gesprächspartner. Querverbindungen zwischen seinen Werken negiert er, was bleibt, ist die Reflexion über die Ausführbarkeit seiner hochdiffizilen Stimmverfremdungen, die – so Aperghis – die Interpreten bewusst überfordern und die nach dem Konzert auch schon einmal einen besorgten Phoniater auf den Plan rufen. Großartig der Bonus-Film: der fabelhafte Mitschnitt von Aperghis’ einigermaßen verstörender Rotkäppchen-Version mit dem ausgezeichneten Ensemble Reflex.
György Kurtág – The Matchstick Man, Peter Eötvös – The Seventh Door. Filme von Judit Kele. Ideale Audience DVD9DS16 (Vertrieb: Naxos)
Pierre Boulez – Eclat. Ein Film von Frank Scheffer. Sur Incises – Ein Film von Andy Sommer. Ideale Audience DVD9DS15
Elliott Carter – A Labyrinth of Time. Ein Film von Frank Scheffer. Ideale Audience DVD9DS17
Georges Aperghis – Storm Beneath a Skull. Ein Film von Catherine Maximoff. Ideale Audience DVD9DS18