„Listen to the rhythm of the falling rain“ hieß in den frühen Sixties ein Ohrwurm, der aus allen Jukeboxen klang. Und es ist dieses Liedchen, das mir immer zuerst zu „Woodstock“ einfällt. In den Wohngemeinschaften der siebziger Jahre gehörte der „Woodstock“-Soundtrack praktisch zur Grundaustattung jeder noch so kleinen Schallplattensammlung. Und weil es damals, Mitte August 1969, einen Monat nach der Mondlandung, in den Catskill Mountains so viel geregnet hat, grundierten die herabfallenden Regentropfen, wenn man genau hinhorchte, den Sound der Platte.
Bevor Santana ihr „Soul Sacrifice“ anstimmten, erklang immer wieder der „Crowd Rain Chain“: „No rain! No rain! No rain!“ Die alte Beschwörungsformel, sie funktionierte damals tatsächlich, wie Frank Schäfer in seiner klugen Monografie „Woodstock ’69“ (erschienen im Residenz-Verlag) festhält. Der Musiker Barry Melton erinnert sich an diesen magischen Moment der Popgeschichte: „Ich habe allen Ernstes versucht, das Publikum davon zu überzeugen, dass der Regen aufhören würde, wenn sich nur genügend Leute auf diesen Gedanken konzentrierten.“ Und er fügt hinzu: „Es waren dort so viele Menschen versammelt, dass ihre vereinten Gedanken einen materiellen Effekt haben konnten. Und es hat tatsächlich geklappt. Der Regen hat schließlich aufgehört.“
Einen Sommerregen ganz anderer Art erwartet Warner Bros. heuer. Pünktlich zum 40-jährigen Jubiläum des Rock-Festivals veröffentlicht die Firma in verschieden Figurationen und Editionen diverse „Woodstock“-Produkte. Auf einer 6-CD-Box mit 77 Tracks präsentiert man erstmals in chronologischer Folge alle 33 Auftritte, darunter unveröffentlichtes Material von CCR, Grateful Dead oder The Who. Die beiden alten „Woodstock“-Alben erscheinen gleichzeitig in einer Luxusedition. Und als „Ultimate Collectors Edition“ gibt es Wadleighs legendären 4-Stunden-Film nun im „Director’s Cut“. Als Bonus gibt es zwei Stunden unveröffentlichtes Material. „Woodstock: 3 Days of Peace & Music“ wird gleichzeitig auf DVD und BlueRay veröffentlicht.
Zur Crew von Michael Wadleigh gehörten 1969 übrigens zwei Filmemacher, die den filmischen Rhythmus der Zukunft entscheidend prägen sollten: Martin Scorsese, der den Regen in „Taxi Driver“ selbst noch einmal beschwor („a real rain will come and wash away all the scum ...“), und seine Hauscutterin Thelma Schoonmaker, die seit „Raging Bull“ zu den Künstler-Komplizen des Meisters gehört. Martys Lieblings-
musiker, die Rolling Stones und Bob Dylan, fehlten in Woodstock, genauso wie die sich langsam auflösenden Beatles. Aber sonst waren die Popstars der Stunde damals fast alle dabei. Als Ergänzung zum Warner-Paket ist bei Sony unter dem Motto „The Woodstock Experience“ gerade ein 10-CD-Set erschienen mit den Live-Auftritten fünf der wichtigsten Acts: Janis Joplin, Sly & The Family Stone, Santana, Jefferson Airplane und Johnny Winter.
Den Begriff „Woodstock“ hörte ich zum ersten Mal 1970 in einem Nr.1-Hit von Matthews Southern Comfort: „By the time we got to Woodstock/ We were half a million strong ...“. Später erfuhr ich, dass dieses Lied die Folk-Bardin Joni Mitchell geschrieben hat. Ein vergangenes Paradies beschwor Mitchell da, das schon damals weit, weit weg erschien. Ausgerechnet eine Sängerin, die damals gar nicht dabei gewesen sei, habe das Lebensgefühl und die Bedeutung des Festivals besser eingefangen als all die anderen „Woodstock“-Acts, merkte David Crosby dazu an. In der „kollektiven Imagination“ Woodstock sei immer schon eingeschrieben gewesen, „die Trauer über den Verlust dessen, was hier noch ein letztes Mal in voller Pracht aufleben konnte“, schreibt Frank Schäfer: „Nicht zuletzt dank Woodstock kann man ihn immer noch wittern, auch nach all den Jahren: diesen berückend aromatischen Duft einer machbaren gesellschaftlichen Veränderung, der damals in der Luft lag.“
Am 6. Dezember 1969 schrieben Scorseses Lieblingsrocker, die Stones, dann in Altamont selbst Popgeschichte. Auf dem von den Hell’s Angels überwachten Festival kam es zu Tumulten. Die Bilanz: vier Tote. Der Flower-Power-Traum, notfalls im Matsch, war vorbei.