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Musik-Filme auf DVD – können Schüler so für klassische Musik begeistert werden?
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Einmal pro Woche ist das Gähnen in Münchner Schulklassen lauter als sonst. Immer dann nämlich, wenn der Stundenplan „Musik“ verspricht. Jedenfalls muss es so sein, wenn stimmt, was die Meinungsforschungsagentur Proxenos kürzlich herausfand. Einer Schüler-Umfrage zufolge sei der Musikunterricht „völlig veraltet und unmodern“. Das ist umso bedauerlicher, als Musik bei Jugendlichen nach wie vor zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen zählt. Vielleicht sollte man einfach die Chancen der Video-DVD nutzen und gelegentlich einen spannenden Musik-Film in den Player legen. Entdeckenswerte Möglichkeiten dazu gibt es mittlerweile genug.

Einmal pro Woche ist das Gähnen in Münchner Schulklassen lauter als sonst. Immer dann nämlich, wenn der Stundenplan „Musik“ verspricht. Jedenfalls muss es so sein, wenn stimmt, was die Meinungsforschungsagentur Proxenos kürzlich herausfand. Einer Schüler-Umfrage zufolge sei der Musikunterricht „völlig veraltet und unmodern“. Das ist umso bedauerlicher, als Musik bei Jugendlichen nach wie vor zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen zählt. Vielleicht sollte man einfach die Chancen der Video-DVD nutzen und gelegentlich einen spannenden Musik-Film in den Player legen. Entdeckenswerte Möglichkeiten dazu gibt es mittlerweile genug. Lehrer sollen Verführer sein“, sagte Peter Sloterdijk, Philosoph und Befürworter einer sinnlichen Intelligenz, letzten Herbst im Interview mit Reinhard Kahl. Und mit „Inspired by Bach“ ist sogar vorstellbar, dass junge Leute dazu verführt werden, sich für die sperrigen Cello-Suiten von Bach zu begeistern. Yo-Yo Ma adaptiert sie hier für den Fernsehschirm und er tut es so positivistisch und wohlerzogen, dass man zuweilen den Eindruck gewinnt, als Zielgruppe seien die Unter-12-Jährigen anvisiert. Das hat damit zu tun, dass die Grundidee zu dreien der sechs einstündigen Filme ohnehin recht nahe liegt – es geht um die Verbindung von Musik und Tanz: In „Falling Down Stairs“ bewegt sich eine Ballett-Truppe zur 3. Suite. „Struggle for Hope“ zeigt den Kabuki-Frauendarsteller Tamasaburo Bando mit einem poetischen Soloprogramm. „Six Gestures“ führt Bach mit einer Kür der Eistanzweltmeister Jayne Torvill und Christopher Dean aufs Glatteis. Bestimmt wird einem bei all dem die Zeit oft ein wenig lang, weil die einzelnen Charaktere nur am Rande eigenständiges Profil entwickeln. Aber was auf den verschulten Klassik-Fan zutrifft, muss noch lange nicht für Kids gelten. Und „Six Gestures“ gebührt allein deshalb schon das Prädikat „pädagogisch wertvoll“, weil Musik und Eisshow so ungezwungen mit Schlaglichtern auf Bachs Biografie verwoben sind.

Auch „The Music Garden“ nähert sich dem Thomaskantor auf wohltuend unverkrampfte Weise. Analog zur ersten Cello-Suite entsteht ein groß angelegter Garten. Ein Moment hat sich festgesetzt: Ma spielt die Allemande in der Säulenhalle eines Hochhauses: rhythmisch prägnant, technisch makellos, mit hell-leuchtendem Ton. Die Kamera kreist in Zeitraffer um ihn, während sich die Umgebung allmählich in einen Garten verwandelt. Da hat man wirklich das Gefühl, der Musik ein wenig näher zu kommen.

Cool wird es dann bei „Sarabande“, dem Spiel-Film zur vierten Suite. Worum es dabei eigentlich geht, ist schwer zu beschreiben. Die sechs Protagonisten haben nur am Rande miteinander zu tun, eine lineare Handlung entsteht nicht; eher ein loses Geflecht von Beziehungen.

Daran hätte sich Swjatoslaw Richter bestimmt nicht beteiligt. Im Porträt „Richter – Der Unbeugsame“ erfährt man, dass der Klavier-Berserker ein schlechter Schüler war. Seine Klassenlehrerin meinte immer: „Ihr seid ja alle so faul. Aber der Richter, der stinkt vor Faulheit!“ Nun sollte das keinen davon abhalten, diesen Film von Bruno Monsaingeon ins Klassen-DVD-Gerät zu legen – dazu ist der Streifen zu intelligent gemacht: Was einen sofort einnimmt, das sind die tief gehenden, offenen Gespräche zwischen Monsaingeon und Richter über das kompromisslose Leben eines der bedeutendsten Pianisten der zweiten Jahrhunderthälfte, aber auch über das Künstlerdasein im Sowjet-Regime. In Kombination mit unzähligen, immer vor Intensität brennenden Musikbeispielen entsteht so eine unkonventionelle Dokumentation für höchste Ansprüche. Dass klassische Musik nicht immer brav und Establishment-treu sein muss, wurde selten zwingender auf den Punkt gebracht.

Im Vergleich dazu wirkt die Reihe „Great Composers“ eher herkömmlich. Natürlich werden hier seriöse, minutiös recherchierte Komponisten-Bilder entworfen – das wird niemand in Abrede stellen, der die ersten beiden Teile der groß angelegten BBC-TV-Serie gesehen hat (Bach, Mozart). Auch in Bezug auf die Interpreten der Musik-Tracks und die befragten Forscher, Christoph Wolff etwa und Charles Rosen, bleiben wenig Wünsche offen. Nur erzählen die beiden Streifen recht geradlinig an der Biografie der Komponisten entlang, zeigen alte Gemälde, Kupferstiche und Stadtansichten. Dass die falschen Vorurteile mancher Jugendlicher gegenüber der Klassik damit verringert werden, kann ich mir schwer vorstellen.

Nun wird man sagen, dies sei im regulären Schulalltag ohnedies nicht zu leisten, weil die Stundenanzahl im Fach „Musik“ ständig gekürzt wird. Aber die vielen Musikschulen, die müssten Basisarbeit leisten und junge Leute für ein Instrument begeistern. Die Film-Reihe „The Art of...“ könnte dazu einiges beitragen, was insofern kaum verwundert, als theoretische Exkurse strikt vermieden werden. In den bislang erschienenen Teilen „The Art of Singing“, „...Piano“ und „...Violin“ geht es um die praktische, sinnliche Erfahrung des jeweiligen Instruments. Größen wie Evgeny Kissin, Magda Olivero oder Itzhak Perlman geben kenntnisreiche Einblicke in die Techniken ihrer historischen Vorgänger. Eine knochentrockene Schule der Geläufigkeit ist das Ganze trotzdem nicht. Man erfährt genauso, dass Jahrhundert-Musiker wie Maria Callas oder Yehudi Menuhin immer auch und vielleicht sogar vor allem auf der Suche waren nach Ausdruck und Menschlichkeit. Am besten gelingt das in „The Art of Violin“, was zum einen daran liegt, dass Regisseur Bruno Monsaingeon die Film-Ebenen so kunstvoll arrangiert. Dann hat er aber auch faszinierende Musikbeispiele aus den Archiven gekramt, eine hoch intensive Kadenz aus dem 1. Violin-Konzert von Schostakowitsch etwa mit David Oistrach. Da wird die Vermittlung von Wissen plötzlich zur reinen Nebensache. Musiker sind nämlich auch Verführer.

Diskografie
Yo-Yo Ma – Inspired by Bach
Vol. 1 – „The Music Garden”: Bach, Cello-Suite Nr.1 G-Dur BWV 1007; Julie Moir Messervy; Regie: Kevin McMahon (1997); „The Sound of the Carceri”: Bach, Cello-Suite Nr. 2 d-Moll BWV 1008; Regie: François Girard (1998); Sony SVD 89297 (115‘)
Vol. 2 – Falling Down Stairs: Bach, Cello-Suite Nr. 3 C-Dur BWV 1009; Mark Morris Dance Group, Mark Morris; Regie: Barbara Willis Sweete (1995); Sarabande: Bach, Cello-Suite Nr. 4 Es-Dur BWV 1010; Regie: Atom Egoyan (1997); Sony SVD 89298 (111’)
Vol. 3 – „Struggle for Hope”: Bach, Cello-Suite Nr. 5 c-Moll BWV 1011; Tamasabro Bando; Re-gie: Niv Fichman (1995); „Six Gestures”: Bach, Cello-Suite Nr.6 D-Dur BWV 1012; Jayne Tor-vill, Christopher Dean, Tom McCamus u.a.; Regie: Patricia Rozema (1997); Sony SVD 89322 (108’)

Richter – Der Unbeugsame: Bach, Konzert Nr. 1 BWV 1052, Fantasie und Fuge BWV 944, Präludium BWV 860; Beethoven, Klavier-sonaten Nr. 12, 23, 31; Rachmaninoff, Etudes tableau op. 33 Nr. 4 & 5, op. 39 Nr. 3, Prelude op. 23 Nr. 2 u.a.; Regie: Bruno Monsaingeon (1998); NVC Arts/Warner Vision DVD 3984-23029-2 (154’)

Great Composers – Bach: András Schiff, Christoph Wolff, Jacques Loussier, John Eliot Gardiner, English Baroque Soloists, Monte-verdi Choir and Orchestra, Thomanerchor; Regie: James Runice; – Mozart: Sir Georg Solti, Robert Levin, Charles Rosen, H. C. Robbins Landon, Cecilia Bartoli, Sir Andrew Davies, London Symphony Orchestra, Orpheus Chamber Orchestra u.a.; Regie: Francesca Kemp (1997); NVC Arts/Warner Vision DVD 8573-88071-2 (118’)

The Art of Singing: Thomas Hampson, Giovanni Martinelli, Jon Vickers, Nicola Rescigno u.a.; Regie: Donald Sturrock (1996); NVC Arts/Warner Vision DVD 0630-15898-2 (116’)

The Art of Piano: Piotr Anderszweski, Tamás Vásáry, Sir Colin Davies, Gennadi Rozhdestvensky u.a.; Regie: Donald Sturrock (1999); NVC Arts/Warner Vision DVD 3984-29199-2 (108’)

The Art of Violin: Ida Haendel, Ivry Gitlis, Itzhak Perlman, Hilary Hahn, Laurent Korcia; Buch & Regie: Bruno Monsaingeon (2000); NVC Arts/Warner Vision DVD 8573-85801-2 (113’)

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