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Reinbert de Leeuw und Barbara Hannigan in „Fuoco Sacro“. Foto: Pars Media
Reinbert de Leeuw und Barbara Hannigan in „Fuoco Sacro“. Foto: Pars Media
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Verkörpern, nicht interpretieren

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In „Fuoco Sacro“ kommt Jan Schmidt-Garre drei fulminanten Sängerinnen erstaunlich nahe
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Asmik Grigorian spricht einen Gesangstext in unnatürlicher Mundstellung, Ermonela Jaho streift geschminkt, aber noch unkostümiert über die spätere Butterfly-Bühne, Barbara Hannigan singt lang gehaltene Töne in verschiedenen Lagen: Filmemacher Jan Schmidt-Garre beobachtet die drei Sängerinnen zusammen mit seinem sensiblen Kamera­mann Thomas Bresinsky in intimen Momenten der Vorbereitung. Jede hat ihre eigene Strategie, die gesanglichen und emotionalen Weichen für eine Aufführung zu stellen.

Was die drei in Schmidt-Garres Wahrnehmung eint, ist die totale Hingabe an die Werke und ihre Rollen. Diese äußert sich in einem Gesang, der über das bloße „schön Singen“ weit hinausgeht und eine unmittelbar spürbare Wahrhaftigkeit des vokalen Ausdrucks hervorbringt. Schmidt-Garre nennt dies (er beruft sich ohne nähere Erläuterung auf Petrarca) „fuoco sacro“, das heilige Feuer eines Gesangs, „den man in der Seele hört“. Was dies vokaltechnisch genau bedeutet, kann und soll sein Film ganz offensichtlich nicht klären, doch die gezeigten Proben- und Aufführungsausschnitte sprechen, singen für sich.

Dies gilt uneingeschränkt für Asmik Grigorian, die sich als „Salome“ in der umjubelten Salzburger Produktion von 2018 komplett verausgabt, und für Ermonela Jaho, die Puccinis „Suor Angelica“ 2017 an der Bayerischen Staatsoper zum Ausnahmeereignis macht. Die Proben mit Kirill Petrenko sind nicht weniger beeindruckend als die hervorragend dagegen geschnittenen Bühnenmomente. Barbara Hannigan scheint auf den ersten Blick nicht so ganz in diese Reihe zu passen, singt sie doch mit hellerer, gleichsam intellektuell reflektierender Stimmfärbung ein moderneres Repertoire. Deckungsgleich mit ihren Kolleginnen ist aber der Zugang zu Opernpartien, die sie „verkörpern, nicht interpretieren“ will. Die Intensität, die sie allein schon in die Probenarbeit an Debussys „Pelléas et Mélisande“ legt, zeugt ebenso davon wie die Ausschnitte aus Hans Abrahamsens „Snow Queen“.

Vor allem in den Gesprächen mit Grigorian und Jaho wird deutlich, welche körperliche und psychische Belastung diese permanenten emotionalen Grenzgänge auf der Opernbühne bedeuten. Asmik Grigorian spricht offen über Panikattacken und die Einnahme von Betablockern. Für sie ist nicht das Hineinkommen in einen Rollencharakter das Problem, sondern das Gegenteil. Auch Ermonela Jaho muss „jedes Mal auf der Bühne sterben“. „Wenn ich nicht wahrhaftig bin, bin ich nicht interessant“, meint sie und spricht davon, sie würde nach solch intensiven Aufführungen manchmal „lieber nicht mehr zurückkommen“. Den Applaus nimmt sie dann, auch akustisch, gar nicht richtig war: „Es fühlt sich taub an“.

Um dies für das Kinopublikum nachvollziehbar zu machen, hat Jan Schmidt-Garre der Sängerin ein Mikrofon am Körper montiert, und so erleben wir dank einer entsprechenden akustischen Montage, wie sie nach einer trotz gesundheitlicher Probleme mit letzter Kraft absolvierten „Traviata“-Aufführung die Ovationen und Kollegen-Gratulationen nur gedämpft wahrnimmt. Noch überzeugender ist ein weiterer Inszenierungs-Kniff des erfahrenen Musikdokumentaristen: Er filmt die Sängerinnen dabei, wie sie Mitschnitte ihrer Performances abhören und mit dem kommentieren, was ihnen dabei auf der Bühne durch den Kopf geht. Atemberaubend ist dies vor allem bei Asmik Grigorians „Salome“: ein aus Gefühlen des Rollencharakters und körperlich-stimmlichen Kommandos zusammengesetzter „Stream of consciousness“. Näher kann man einer singenden Künstlerin filmisch nicht kommen. Bei Barbara Hannigan ist die Ausgangslage eine andere, distanziertere, denn sie hört sich eine Aufnahme an, bei der sie Mahlers Vierte dirigiert, um dann beim Sopransolo die Führung ein Stück weit ans Orchester abzugeben.

Gleichsam eine inhaltliche Klammer macht Schmidt-­Garre mit jenen Szenen auf, in denen er Hannigan bei der Arbeit mit dem Pianisten Reinbert de Leeuw begleitet. Das Repertoire – Eric Saties „Socrate“ – erfordert zwar das glatte Gegenteil von „fuoco sacro“, doch den legendären Interpreten kurz vor seinem Tod körperlich gezeichnet am Klavier zu sehen, ist kaum weniger ergreifend als das Sopranfeuer, das dieser Film so wunderbar zu wärmendem Leuchten bringt.

  • „Fuoco Sacro“ ist seit 21. April im Kino zu sehen.

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