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„Der Student von Prag“
„Der Student von Prag“
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Von Doppelgängern und Heilsjägern

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Neue DVDs mit Stummfilmklassikern in der „Edition Filmmuseum“
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Während in Deutschland die großen Firmen das Geschäft mit Klassikern auf DVD inzwischen fast ganz eingestellt haben, kümmern sich inzwischen immer mehr kleinere Firmen um die Filmgeschichte. Zu den Pionieren gehört die „Edition Filmmuseum“, die inzwischen fast 100 Titel veröffentlicht hat. Vor allen Dingen das Filmmuseum München und das Österreichische Filmmuseum präsentieren in dieser famosen Reihe ihre restaurierten Archivschätze. In der letzten Zeit ist wieder einmal ein kleines Paket mit Stummfilmklassikern erschienen: Hanns Heinz Ewers‘ „Der Student von Prag“, Manfred Noas „Helena“ und Josef von Sternbergs „The Salvation Hunters“.

„1913 war ein Schlüsseljahr in der Filmgeschichte, in dem in vielen Ländern die ersten großen abendfüllenden Spielfilme entstanden, die auch heute noch Bestand haben“, schreibt Stefan Drößler, der Chef des Filmmuseum München in seinen Liner Notes zur DVD mit den verschiedenen Fassungen von „Der Student von Prag“. Wie so oft in der deutschen Literaturgeschichte geht es in diesem fantastischen Filmmärchen des „Alraune“-Autors Ewers, der von Anfang an an den „Kientopp“ geglaubt hat, um einen Pakt mit dem Teufel. Verkörpert wird dieser „Student von Prag“ von Paul Wegener, dem späteren „Golem“ des deutschen Kinos. Im Prolog stellen Wegener und Ewers „am Ufer der Moldau“, wie es in der Audiodeskription so schön heißt, ihr Prag vor. Dazu erklingt Smetanas „Die Moldau“, möchte man jetzt fast ergänzen. Aber der Komponist der Originalkinomusik von 1913, Josef Weiss, hat darauf verzichtet. Obwohl man damals solche Zitate im Kino geliebt hat, wie die „Kinoerzähler“, an die diese schöne Audiodeskription so beiläufig erinnert. Anhand der überlieferten Klavierpartitur des Liszt-Schülers Weiss, die das Geschehen romantisch untermalt, ließ sich der Film nun wieder in seiner ursprünglichen Fassung rekonstruieren. Bernd Thewes hat den Film für ZDF/arte neu orchestriert. Und diese Fassung finden wir nun auf der DVD zusammen mit der Klavierfassung, gespielt von Mark Pogolski, einem Schüler des verstorbenen Stummfilmkomponisten Aljoscha Zimmermann.

Zehn Jahre später, im Sommer 1923, begannen in der Umgebung von München die Dreharbeiten zum „diesjährigen Monumentalfilm der Bavaria-Gesellschaft“. Gemeint war damit das neueste Werk des „Nathan der Weise“-Regisseurs Manfred Noa: „Helena. Der Untergang Trojas“. Ein „klassischer Großfilm in zwei Teilen“: „Der Raub der Helena“ und „Die Zerstörung Trojas“. Bereits 2001 hatte eine erste Rekonstruktion des Epos Premiere. Aber erst 2015 konnte das Filmmuseum München die Arbeit an der digitalen Fassung, die jetzt wieder der ursprünglichen Zensurlänge entspricht, abschließen. In bewährter altmodisch-illustrierender Weise haben Joachim Bärenz und Christian Roderburg für „Helena“ die neue Filmmusik geliefert.

Das filmische und auch musikalische Highlight dieses Pakets ist freilich Josef von Sternbergs Debütfilm „The Salvation Hunters“ von 1925. Welch ein Auftakt für Marlene Dietrichs späteren „Svengali Jo“: „Ich hatte ein visuelles Gedicht vor Augen“, schreibt Sternberg in seinen Memoiren, „Schatten statt der faden Illumination. Scharf profilierte Gesichter, plastisch und hohläugig, statt der blassen Masken. Statt einer nichtssagenden Dekoration einen lebendigen Hintergrund. Statt saccharinsüßer Rollen nüchterne Menschen, die sich in einem bestimmten Rhythmus bewegen sollten.“ Fast ohne Geld hat Sternberg hauptsächlich „on location“ gedreht, in Los Angeles und Umgebung. Der Schauplatz: „Ein Hafen – wie alle anderen: Schmutz, Wasser und manchmal Sonne.“ – wie ein Zwischentitel angibt. Die erste Hälfte des Films ist vollkommen. Der Rhythmus durch und durch musikalisch. Auch ohne Musik würden diese ersten Akte perfekt „funktionieren“: Aber natürlich ließ arte auch für diesen Film eine neue Kinomusik komponieren. Als Glücksfall erwies sich dabei der Wiener Komponist Siegfried Friedrich, der bereits für seine Musik zu „Dreams Rewired“ mit dem Deutschen Dokumentarfilmmusikpreis 2016 ausgezeichnet wurde. Sehr intim hat er den Sternberg-Film impressionistisch mit leichten Jazzklängen orchestriert.

Friedrich schreibt dazu: „‚The Salvation Hunters‘ ist ein ebenso einzigartiger wie auch eigenartiger Film, der sich jeder Einordnung verweigert, weswegen die musikalische Vertonung eine faszinierende Aufgabe darstellte. Der intimen Fokussierung des Films auf wenige Protagonisten begegnete ich mit der Verwendung einer reduzierten Duo-Besetzung, bestehend aus Trompete und Klavier – zweier Instrumente, die beide einen enormen expressiven Radius von subtiler Intimität zu erdrückender Klanggewalt abdecken.“ So ist einer der besten modernen Stummfilm-Scores der letzten Jahre entstanden. Als Zugabe gibt es auch noch ein Fragment aus Sternbergs leider bisher „verlorenem“ Film „The Case of Lena Smith“. Ein Wiener Filmtraum made in Hollywood. Flirrend und musikalisch wie das Gesamtwerk des Kinogenies aus Kakanien.

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