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Von Liebe und Enthusiasmus

Untertitel
Lebens- und Arbeitsgemeinschaft: die Britten-Pears-Collection auf DVD
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Unter den nicht als Stimmbesitzer, sondern als vokale Gestalter herausragenden Sängern gehört der englische Tenor Peter Pears sicher zu den prägnantesten. Mit seiner Fähigkeit, den begrenzten Möglichkeiten seines Organs feinste Klangfärbungen und Ausdrucksschattierungen abzutrotzen, lenkte er die Aufmerksamkeit vom Gesanglichen auf die Essenz der Musik selbst. Biografisch und diskografisch ist sein Schaffen untrennbar mit dem seines Lebensgefährten Benjamin Britten verknüpft – eine symbiotische Künstlerbeziehung, die nun durch bisher kaum zugängliche Filmdokumente aus den Jahren 1966 bis 1970 weiter belegt wird.

Dass Pears’ stimmliche Defizite in dieser Zeit begannen, seine interpretatorische Autorität zu mindern, wird in jener Aufnahme am schmerzlichsten deutlich, an die man vielleicht die größten Erwartungen knüpfen konnte. Denn die BBC-Produktion der „Winterreise“ entpuppt sich leider nicht als eine durch Live-Bedingungen in ihrer Dringlichkeit verschärfte Version der berühmten Studio-Einspielung vom Oktober 1963. Vielmehr war man auf die Idee verfallen, Pears als nicht mehr ganz taufrischen Wandersmann zu verkleiden und in ein ambitioniert-abstraktes Bühnenbild zu stellen. Trotz wechselnder Kameraperspektiven misslingt der semiszenische Versuch und verharrt in unvorteilhafter Statuarik.

Erschwerend kommt hinzu, dass Britten als unsichtbarer Begleiter offenbar in einiger Entfernung platziert wurde, zu Ungunsten der akustischen Präsenz seines erneut überragend mitgestaltenden Spiels. Pears gelingen in den zurückgenommenen Passagen eindringliche Momente, den dramatischen Ausbrüchen ist seine leicht eingedickte, in der Diktion nicht mehr so präsente Stimme aber nicht gewachsen. Eine forcierte, theatralische Tongebung ist die Folge und zwar über jenen Punkt hinaus, der in der älteren Version noch die faszinierende Grenze bedeutet hatte, die zwar berührt, aber nicht überschritten wurde. Entschädigt wird man auf dieser Scheibe allerdings mit den wunderbaren Folksong-Bearbeitungen Brittens, von den Beiden mit unnachahmlichem Charme dargeboten.

Szenische Defizite trüben auch zwei der Operndokumente aus der Kollektion. Mozarts „Idomeneo“, Ende der 1960er-Jahre wahrlich kein Repertoire-Stück, hatte Britten in jenem Jahr auf das Programm seines Aldeburgh Festivals gesetzt, als ein Brand die berühmten Snape Maltings vernichtete.

Die improvisierte Aufführung in einer Kirche diente ein Jahr später als Grundlage der Fernsehaufzeichnung und ist vor allem ein Dokument erstaunlichen Mozart-Gesangs, der trotz der leicht befremdlichen englischen Fassung seinen Zauber entfaltet. Heather Harper (Ilia), Rae Woodland (Elektra) und vor allem Anne Pashley in der damals meist mit einem Tenor besetzten Rolle des Idamante setzen Brittens von viel Liebe und Enthusiasmus getragene Aufführung exzellent um. Peter Pears’ Idomeneo (Britten ersparte ihm die Strapazen des „Fuor del mar“) entfaltet weniger Wohlklang, dafür aber große Prägnanz in den Rezitativen.

Eine vollgültige Interpretation ist dagegen seine Paraderolle des Peter Grimes in der BBC-Produktion von 1969. So sehr hat er sich die Partie des Ausgeschlossenen anverwandelt, dass die vokalen Einschränkungen in eine Intensivierung des Ausdrucks umschlagen. Die schauspielerische Qualität hält dem nicht ganz stand, was auch für die übrige, ansonsten ausgezeichnete Besetzung gilt. Das Fehlen einer echten Regie, die das pittoreske Bühnenbild mit mehr als bloß klischeehafter Bewegung des Personals ausfüllen könnte, macht sich schmerzlich bemerkbar, ebenso der im Vergleich zur glasklaren Stereo-Schallplatte von 1958 mulmige Monoklang für Brittens leidenschaftlich erfülltes Dirigat.

Dieser hatte einer Mitwirkung nur zugestimmt, weil das Orchester direkt am Aufnahmeort, den zu diesem Zeitpunkt noch intakten Snape Maltings, platziert werden konnte.

Für die Produktion des „Billy Budd“ drei Jahre zuvor waren Orchester und Szene noch in zwei getrennten BBC-Studios aufgebaut gewesen, die Koordination musste über Monitore und Zusatzdirigenten hergestellt werden. Dass unter solchen Bedingungen dennoch eine viel intensivere Opernaufzeichnung zustande kommen kann als durch ein damals schon erwogenes Playback-Verfahren, macht diese mit Abstand wertvollste DVD der Serie deutlich.

Der Fernsehregisseur Basil Coleman führt Sänger und Chor mit großem dramaturgischen Gespür durch die für damalige Verhältnisse enorm aufwändige Studio-Fregatte und fängt ihr intensives Spiel mit den zahlreichen Studiokameras in nüchternem Schwarz-Weiß präzise ein.

Die Besetzung des großen Seestücks – bis auf wenige Ausnahmen identisch mit der Plattenaufnahme von 1968 unter Brittens Leitung – ist erstklassig und besonders Peter Glossop ist auch darstellerisch ein idealer Billy, während Pears’ Captain Vere in ihrer nur nach außen autoritäre Sicherheit ausstrahlenden Aura über jeden Zweifel erhaben ist.
Einzig der im Vergleich zum legendären Decca-Sound dieser Jahre bescheidene Mono-Klang trübt ein wenig den von Charles Mackerras’ kompetentem Dirigat abgerundeten Gesamteindruck.

DVD-Tipp

The Britten Pears Collection (Decca): Britten: Billy Budd (074 3256), Schubert: Winterreise, Britten: Folk Songs (074 3257), Mozart: Idomeneo
(2 DVDs, 074 3258), Britten: Peter Grimes (074 3261)

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