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Die singende Stadt. DVD
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Vor und hinter den Kulissen

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Neu auf DVD: Konzerte, Opern und eine Dokumentation
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So ganz ist das Prozedere der DVD-Labels bei der Aufarbeitung von Archivschätzen ja nicht zu durchschauen. Da liegen nun einige Perlen aus BBC-Beständen einerseits unter dem Namen „classic archive“ bei EuroArts, andererseits bei dem ebenfalls von Naxos vertriebenen Label „ica classics“ vor. Sei’s drum, mag der Kunde denken, Hauptsache der Inhalt stimmt.

In der Tat ist es bewegend, den kürzlich verstorbenen Kurt Sanderling am Pult des BBC Orchestra noch einmal sehen zu können. 1988 lieferte er in der Royal Albert Hall ein grandseigneurhaft-souveränes Dirigat ab. Schumanns Vierte gerät nicht unbedingt zu einer Sternstunde, dazu fehlt es an rhythmischer Gespanntheit, sein Zugriff auf Mahlers „Lied von der Erde“ ist jedoch von großer Detailkenntnis und Liebe zum Werk getragen und Carolyn Watkinson ist mit lyrischer Zurückhaltung eine gute Partnerin für den Großmeister am Pult (ICAD 5042).

Ein weiterer Mahler-Exeget von Rang war Klaus Tennstedt. Seine Darstellung der Fünften aus dem gleichen Jahr steigert sich ab dem dritten Satz (Mittelteil!) über ein versonnenes, aber nie eingedicktes Adagietto in eine furiose Finalsteigerung, die dem Dirigenten und dem London Philharmonic Orchestra (LPO) zu Recht Ovationen einbringt (ICAD 5041).

Mit der achten Symphonie stand nicht gerade ein Meisterstück von Ralph Vaughan Williams auf dem Programm, das Sir Adrian Boult 1972 zum 100. Geburtstag des Komponisten zusammen mit dem LPO gestaltete. Um so stärker ist der Eindruck, den eines seiner Hauptwerke, die Ballettmusik „Job“ hinterlässt. Unnachahmlich, wie Boult mit unendlich langem, geheimnisvoll, aber präzise federnden Taktstock ohne jegliche Ausdrucksgeste eine hochemotionale Interpretation des Werkes in Gang setzt. (ICAD 5037).

Ein Solist steht im Mittelpunkt des BBC-Mitschnitts vom 9. Juni 1968. Arthur Rubinstein spielt Chopins zweites Klavierkonzert mit Mozart’scher Klarheit, wenig Pedal und extrem geschmackvoll in den sparsamen Rubati. Überragend seine glasklare Attacke im Oktavrezitativ des langsamen Satzes. Ein konzertantes Interagieren mit dem von Zubin Mehta sehr engagiert geführten Israel Philharmonic Orchestra findet allerdings kaum statt. Dieses ist insgesamt gegenüber dem Klavier deutlich zu hoch gestimmt, was zu peinigenden Einsätzen führt. Wie der über 80-Jährige dann aber als Zugabe Chopins Polonaise Es-Dur hinfegt, ist beinahe magisch (EuroArts 3079638).

Bewundernswert auch die Klarheit und Detailschärfe, mit der Wilhelm Backhaus 1962 bei den Wiener Festwochen (ORF-Mitschnitt, Arthaus 107 347) Beethovens viertes Klavierkonzert ausdeutet. Das Zusammenspiel mit den Wiener Philharmonikern vermittelt freilich wenig Dringlichkeit, Hans Knappertsbusch dirigiert das offenbar nicht überprobte Programm mit sparsamsten Bewegungen. In Vorspiel und Liebestod aus „Tristan und Isolde“ (etwas unruhig in der Tongebung: Birgit Nilsson) löst er mit winzigen Handgelenksbewegungen entscheidende Akzente aus.

Unter den neueren Opernveröffentlichungen geben sich zwei besonders spektakulär: Jens Neuberts „Freischütz“-Kinofilm (Paramount Home Entertainment) entpuppt sich als ein optisch und akustisch künstlich aufgeblasenes Spektakel, bei dem die Musik bisweilen in den Dolby Surround Nebengeräuschen unterzugehen droht. Die Wolfsschlucht amüsiert unfreiwillig mit einer Mischung aus digitaler Tricktechnik und Scherenschnitt, die Bebilderung der ersten Agathen-Arie ist purer Kitsch. Der Gesang entschädigt ein wenig.

Immerhin als ein unterhaltsamer Bilderbogen funktioniert Mark-Anthony Turnages Anfang des Jahres uraufgeführte Oper „Anna Nicole“ (Opus Arte). Zwischen überdrehter Medienschelte und trashiger Lust an (künstlichen) Oberweiten wird der Versuch unternommen, die Protagonistin (das 2007 verstorbene Fotomodel Anna Nicole Smith) in ihrer tragischen Lebensgeschichte ernst zu nehmen. Das gelingt allerdings kaum, auch weil die Musik nicht über eine brillante Stilkopie Bernstein’scher Tonfälle hinauskommt. Eva-Maria Westbroek und das Ensemble von Covent Garden haben sichtbar Vergnügen an dem insgesamt doch recht harmlosen Unfug.

Auf bewährtem Niveau bewegt sich das Gespann William Christie/Robert Carsen in seiner Produktion von Lullys „Armide“ (FRA Musica 005). Den Prolog als Filmeinspielung mit Versailles-Touristen zu gestalten, die schließlich im Schlafgemach des zu preisenden Sonnenkönigs landen, ist eine hinreißende Idee. Die Handlung selbst ist dann hervorragend gespielt und gesungen und mit Vertrauen auf die Gestaltungskraft der Musik inszeniert. 

Was bei vielen Opern-Mitschnitten als mehr oder weniger gelungener Bonus beigegeben ist, hat Vadim Jendreyko in seinem Film „Die singende Stadt“  (Real Fiction 958898) zur Hauptsache gemacht: Sein Blick hinter die Kulissen der Stuttgarter Parsifal-Produktion (Bieito/Honeck) ist eine faszinierende Hommage an die kreative und handwerkliche Kraft des Opernbetriebs. Unaufgeregt, aber mit viel Gespür für sprechende Bilder fängt die Kamera Momentaufnahmen eines aufreibenden Arbeitsprozesses ein, an dem zahllose Menschen ihren ganz eigenen Anteil haben. Ein Glanzstück! 

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