Am Ende des Wagner-Jahres soll an dieser Stelle noch ausführlich ein Buch vorgestellt werden, das ein bisher immer vernachlässigtes Thema behandelt: Wagner und das Kino. Bereits zu seinem 100. Geburtstag ist ein Biopic entstanden, das gerade auch bei Universum als DVD erschienen ist: „Richard Wagner“, inszeniert von Carl Froehlich, der später auch eine andere Ikone der Nazis in Szene setzen durfte, Zarah Leander. Verkörpert wurde dieser Film-Wagner von einem Mann, der als der „Vater“ der Filmmusik gilt: Giuseppe Becce, der natürlich auch gleich den Score schrieb, mit Wagner-Motiven verziert.
100 Jahre später ist nun anlässlich einer großen Retrospektive im Berliner Zeughaus-Kino im Junius-Verlag eine große Publikation über das „Wagner Kino“ erschienen. Ein Buch, das zum Standardwerk werden wird.
Wenn man in diesen Tagen in Wien das Jüdische Museum besucht, wird man dort eine Ausstellung sehen, die das Thema durchaus flankiert, „Euphorie und Unbehagen“ über Richard Wagner und das jüdische Wien. Dort begegnet man auch vielen „Protagonisten“ des Buchs wieder: Korngold, Steiner, Chaplin oder Syberberg. Natürlich darf in dieser Schau ein Ausschnitt aus dem „Großen Diktator“ nicht fehlen. Wie Chaplin als Hynkel zur Musik des „Lohengrin“-Vorspiels mit der Weltkugel spielt, ist unvergesslich. In seinem Aufsatz zu den Einflüssen des „Wagner-Sound“ im Goldenen Zeitalter der Filmmusik, ordnet Chris-tian Müller diese Musik natürlich dem „feindlichen Lager“, den „Antisemiten“ zu. Aber er gräbt tiefer, entdeckt in der Wahl des Motivs eine Parallele zu Chaplins „Hynkel“-Inszenierung: „‚Lohengrin‘ ist die Geschichte eines tragischen Scheiterns, und zwar genauer des Scheiterns eines der Welt entrückten Außenseiters (der Genie, Künstlertum und Wunder verkörpert). Die lichten, herabschwebenden Klänge des Vorspiels zum ersten Akt entlarven Diktator Hynkel in der Globe-Szene insofern nicht nur als exzentrischen Träumer – sie stehen auch für die Unerreichbarkeit dieser Weltbeherrschungsfantasien und nehmen das Scheitern bereits vorweg.“ Anders als Karl Ritters Nazi-Film „Stukas“ stelle Chaplin in „Der große Diktator“ wesentliche Inhalte des „Lohengrin“ in den Dienst seiner eigenen Aussage.
Die alte Frage, wieviel „Wagner“ nun in der Filmmusik Hollywoods steckt, beantwortet Müller mit einigen Beispielen aus Max Steiners „Casablanca“ oder Franz Waxmans „Humoresque“. Sein Fazit: „Im Hinblick auf Wagners Konzept des Gesamtkunstwerks lässt sich der Unterschied zwischen Film und Musikdrama schnell benennen: Der Film ist stets das Ergebnis der Arbeit eines Produktionsteams mit klar aufgeteilten Kompetenzen und Zuständigkeiten. Produktionstechnisch ist dabei die Musik häufig der zuletzt fertiggestellte Bestandteil und in vielen Fällen fremdbestimmt durch Vorgaben seitens Regisseur, Produzent oder Drehbuchautor. Dass Wagner, hätte er im 20. Jahrhundert gelebt, ein führender Filmkomponist geworden wäre, bleibt auch in dieser Hinsicht eine eher kühne These.“
Natürlich gibt es im Buch auch ein eigenes Kapitel zum „Walkürenritt“ im Kino. Marcus Stiglegger hat die „ikonische Szene“ aus Francis Ford Coppolas Vietnamkriegsfilm „Apocalypse Now“ genau analysiert. Obwohl im „echten“ Krieg damals zu den gezeigten Hubschrauberangriffen Rock‘n‘Roll-Music erklang, setzte Drehbuchautor John Milius auf den „Walkürenritt“. Seit den 30er-Jahren hatte dieses Motiv im Kino bereits ein Eigenleben geführt, in Filmen wie der Hemingway-Verfilmung „A Farewell To Arms“ oder auch in den Deutschen Wochenschauen aus den vierziger Jahren. Wagners Musik sei von den Nazis hier zum ersten Mal „sehr affirmativ zur medialen Vermittlung einer Kriegshandlung“ eingesetzt worden, wie man es später immer wieder sehen sollte. Und es scheint ihm bemerkenswert, dass die berittenen Walküren hier bereits mit der Luftwaffe assoziiert werden. Ein Bezug, der bleiben sollte. Und Stiglegger spinnt den Faden bis 2014 weiter, zum bereits angekündigten Animationsfilm „Adolf“. Auch im Trailer zu dieser Nazi-Parodie erklingt das berühmte Motiv. „So werden Nazibombast und teutonisches Pathos gleichermaßen bloßgestellt – wenn auch um den Preis der Aura eines der prägnantesten und populärsten Musikstücke, die Richard Wagners Repertoire je entlehnt wurden.“
Die Herausgeber haben den Bogen weit gespannt, von der Filmfigur Wagner und Wagner im NS-Film über seinen Einfluss auf die frühe französische Filmtheorie bis hin zu seinen Spuren in der filmischen Popkultur, bei Lars von Trier und Christoph Schlingensief. Sehr aufschlussreich sind auch die fünf Dialoge, die das reichhaltig bebilderte Buch auflockern: Der Schauspieler Edgar Selge, der Filmdirigent Frank Strobel und die Regisseure Philipp Stölz, Werner Herzog und Hans Jürgen Syberberg geben darin Auskünfte über ihre Arbeit, die in manchen Fällen sehr eng mit dem Werk Wagners verknüpft ist. Einer, dessen Werk in der Wahrnehmung fast ausschließlich mit Wagner verbunden ist, spukt auch im Wiener Jüdischen Museum herum: Syberberg. Es ist natürlich „seine“ Winifred Wagner, die dort auf einem kleinen Bildschirm wieder von ihrem „Führer“ schwärmen darf. Aber auch das muss man aushalten können.
Der Wagner-Film war dann ja auch die Vorstufe zu Syberbergs monumentalem „Hitler“-Film gewesen, einem „Film aus Deutschland“, wie er im Untertitel heißt. Und der natürlich auch in der Ausstellung „anklingt“. So müssen alle Reisen zu Wagner immer wieder, auch im Buch, den Umweg über den „Führer“ nehmen, der das Werk des Künstlers bis in alle Ewigkeit kontaminiert hat.
Steffen Vogt, Kristina Jaspers, Jan Drehmel: Wagner Kino. Spuren und Wirkungen Richard Wagners in der Filmkunst, Junius Verla, 207 Seiten, € 24,90 ISBN 978-3-885060-29-1