Von den im 20. Jahrhundert entstandenen oder weit in dieses hineinragenden Symphonienzyklen dürften die von Gustav Mahler, Jean Sibelius und Dmitri Schostakowitsch diejenigen sein, die im heutigen Konzertleben die stärkste Präsenz entfalten. Kein Wunder also, dass eben diese drei nun in neuen Gesamteditionen auf DVD beziehungsweise Blu-ray vorliegen.
Im Falle von Sibelius ist es allerdings so, dass in der opulenten Box, die die Berliner Philharmoniker bei ihrem eigenen Label pünktlich zum 150. Geburtstag des Komponisten im Dezember herausgebracht haben, die Videomitschnitte auf Blu-ray als Bonus zu den Audio-CDs zu verstehen sind. Sie sollen wohl auch als Appetizer für die Digital Concert Hall des Orchesters dienen: Ein 7-Tages-Ticket ist ebenso inbegriffen wie ein Download-Code für die hochaufgelösten Audio-Dateien – eine vorbildlich multimedial gedachte Edition also, die auch interpretatorisch höchsten Ansprüchen genügt. Wie schon bei seinem beachtlichen Zyklus mit dem Birmingham Symphony Orchestra, so pflegt Simon Rattle auch hier eine eher schlanke, vorwärtsdrängende, Sibelius nicht in weihevolles Nationalpathos hüllende Gangart. Vor allem den Symphonien vier und sieben bekommt dies ausgezeichnet, während man sich an anderen Stellen, etwa in der Zweiten oder Fünften, bisweilen einen weiteren Atem wünschen würde. Das Orchester spielt fabelhaft, minimale Abstriche sind höchstens hie und da in Sachen Klangentfaltung zu machen. Ausgezeichnet ist auch das einstündige Interview, das Vesa Sirén mit Rattle geführt hat und in dem der Dirigent hellsichtig und enthusiastisch über die Symphonien und den Einfluss spricht, den Paavo Berglund als Sibelius-Interpret auf ihn gehabt hat.
In Sachen Werkeinführung noch weiter geht die bei Arthaus erschienene Sibelius-Box. Hier gibt es zum einen ganz auf den Dirigenten Hannu Lintu zugeschnittene, an verschiedensten Drehorten mit erheblichem Aufwand gedrehte Einführungsfilme. Zum anderen werden diese durch einen ausführlichen, von Lintu kompetent kommentierten Gang durch die Themen der jeweiligen Symphonie ergänzt – inklusive eingeblendeter Noten. Besser kann man das kaum machen. Geistert schon in den Einführungen Sibelius’ Silhouette durch so manche moderne Straßenszene, so ist die ebenfalls enthaltene Kurzfilmserie „Sort of Sibelius!“ mit vielen gespielten Szenen endgültig eine augenzwinkernde Verbeugung vor der großen Komponistenpersönlichkeit. Auch die Live-Mitschnitte sind aller Ehren wert, wobei sich Lintu im Vergleich zu Rattle durchweg mehr Zeit nimmt, was nicht zwangsläufig zu einer Intensivierung führt. Das Finnische Radio-Symphonieorchester ist ein sehr guter Sibelius-Klangkörper, an die Berliner Philharmoniker reicht es dann aber doch nicht heran. Als Gesamtpaket dennoch eine sehr gelungene Geburtstags-Hommage.
Weniger opulent sind die Blu-rays, die C major mit Paavo Järvis Frankfurter Mahler-Zyklus veröffentlicht hat. Die Bildqualität der Mitschnitte aus dem Kurhaus Wiesbaden und dem Klos-ter Eberbach liegt deutlich unter denen aus der Berliner Philharmonie und dem Helsinki Music Centre, der Klang ist aber einwandfrei und auch Järvi hat in den jeder Symphonie vorangestellten Kommentaren einiges zu sagen. Bezeichnend ist hier die Distanz, die Järvi manchen Aspekten des Mahler’schen Kosmos gegenüber einräumt. Diese ist dann auch in seinen Dirigaten spürbar, die stetige Kontrolle, genaues Ausbalancieren der Instrumentengruppen und präzise Dynamik einfordern. Das bestens präparierte, mit hochkompetenten Solisten bestückte hr-Sinfonieorchester folgt seinem Chef mit der geforderten Genauigkeit und beweist einmal mehr seine aus den (vor allem aufnahmetechnisch) Maßstab setzenden Inbal-Aufnahmen bekannte Mahler-Kompetenz. Den allerletzten Enthusiasmus entfachen die Einspielungen aber trotz guter Solo- und Chorleistungen nicht, vielleicht ein Indiz für eine sich in den vergangenen Jahrzehnten entwickelte, an sich erfreuliche Selbstverständlichkeit im Umgang mit Mahler, die bei den großen Orchestern aber auch eine gewisse Routine mit sich gebracht zu haben scheint.
Was die Dirigentenkommentare betrifft, so ist Valery Gergievs in Paris live aufgenommener Schostakowitsch-Zyklus (Arthaus) wohl am schwächs-ten besetzt. Gergiev plaudert, offenbar ohne sich besonders vorbereitet zu haben, eher pauschal über die Werke und ihren Entstehungskontext. Präziser ist da sein Mariinsky Orchester, das in diesem Repertoire hörbar zuhause ist und die technisch anspruchsvollen Aufgaben bis auf vereinzelte Unsauberkeiten in den Bläsern spielend bewältigt. Umso bedauerlicher ist es, dass Gergievs Lesarten trotz forscher Tempi und großer dynamischer Bandbreite immer wieder der letzte Biss fehlt. Die Intensität im dritten Satz der fünften Symphonie könnte höher sein, dem lediglich „schön“ gespielten zweiten Satz der Neunten fehlt die existenzielle Beteiligung, dem Finale der doppelte Boden. Im dritten Satz der zehnten Symphonie ist das Fugato-Thema nicht sonderlich trennscharf artikuliert, die Zirkus-Episode bleibt verhältnismäßig blass. Durchweg herausragend sind allerdings die Instrumentalsolisten darunter Vadim Repin im ersten Violinkonzert, Daniil Trifonov im ersten Klavierkonzert oder Gautier Capuçon im ersten Cellokonzert. Die als Bonus beigegebene einstündige Dokumentation von Reiner E. Moritz („Dmitri Shostakovich – A Man of Many Faces“) entpuppt sich leider als enttäuschende Aneinanderreihung von Ausschnitten aus dem Pariser Zyklus mit den Gergiev-Einführungen, ergänzt um einige Archivaufnahmen.