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Sind noch Lieder zu singen?
Sind noch Lieder zu singen?
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Wie geht es weiter mit dem Lied?

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Ein Projekt der Hugo-Wolf-Akademie, vorbildlich auf DVD dokumentiert
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„Wenn der Text gut ist, braucht man ihn nicht zu singen, wenn er schlecht ist, braucht man auch keinen Text.“ Carola Bauckholts Statement klingt so, als habe sie damit den Auftrag der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie, ein Klavierlied zu komponieren, genauer: einen „autarken, literarischen deutschsprachigen Text nach 1945“ zu vertonen, abgelehnt. Hat sie aber nicht.

Vielmehr hat sie die Flucht nach vorn angetreten und mit Ernst Jandl als Gewährsmann die Stimme und das Klavier so konkret genommen, wie dieser die Sprache konkret nimmt. Da liegt nun Salome Kammer unter dem Flügel und stellt über einen Schlauch Kontakt zum Resonanzboden her und Pianistin Akiko Okabe tut es ihr gleich … „Membran“ heißt die viertelstündige Performance und deren Uraufführung vom Festival „Sind noch Lieder zu singen?“, das im vergangenen Jahr an der Stuttgarter Musikhochschule über die Bühne ging, ist nun mit allen anderen vier Konzerten in einer DVD-Box erschienen.

Auch sämtliche Einführungsgespräche sind hier dankenswerterweise festgehalten und damit auch Bauckholts eingangs zitierter Satz, der die von einer Gedichtzeile Paul Celans abgeleitete Festivalfrage, ob heute noch Lieder zu singen seien, ziemlich eindeutig mit Nein beantwortet. Ein auskomponiertes Nein kommt auch von Iris ter Schiphorst, die in „ meine keine lieder / die aufgabe von musik“ Salome Kammer mit schwarzem Klebeband einen Trennstrich zwischen ihrem Rezitationspult und den instrumentalen Mitspielern ziehen lässt, bevor diese mit Hannah Arendt und anderen ihrem Unbehagen am „deutschen Kunstlied für das deutsche Bürgertum“ Ausdruck verleiht.

Weniger Skrupel hat da ein Oscar Strasnoy, der in „Müller“ Texte von Wilhelm, Heiner und Herta Müller zu einer lockeren, allerdings auch etwas oberflächlichen Collage vereint. Eine ganz eigene, im Resultat durchaus überzeugende Strategie hatte Gordon Kampe für „Acht schwarze Lieder nebst einer Moritat“ verfolgt: Er habe, so der Komponist, den Text angeschrieen, „in der Hoffnung, dass er zurückschreit“.

Von den unterschiedlichen Strategien und Ergebnissen der Kompositionsaufträge (darunter Jan Masanetz, Carsten Hennig und Martin Smolka) und der Wettbewerbsgewinner (Dennis Bäsecke-Beltrametti und Hans-Henning Ginzel) kann man sich auf den vier DVDs ebenso ein Bild machen wie von den Interpretationskünsten der Vokalisten (darunter Salome Kammer, Claudia Barainsky und Holger Falk) und Pianisten (u.a. Axel Bauni und der an der Konzeption der Veranstaltung beteiligte Steffen Schleiermacher), denen sich immer wieder auch – Schuberts „Hirt auf dem Felsen“ eingedenk – Sebastian Manz oder Dirk Altmann an der Klarinette beigesellten. Zu einem äußerst anregenden deutsch-deutschen Liedpanorama erweiterte sich das Festival überdies durch die zwischen die Uraufführungen eingeschobenen Blöcke mit Werken von 1945 bis heute.

Eine unverzichtbare Box also in jedem Fall, die dann in Form einer fünften DVD aber noch einen entscheidenden Mehrwert bereithält. Denn während die erste hier dokumentierte Diskussionsrunde sich dem Thema „Komponieren für Stimme“ nicht wirklich näherte, ging es im zweiten Gespräch ans Eingemachte. Ausgehend von zwei Impulsen der Musikwissenschaftler Frank Schneider und Andreas Meyer stellten Carola Bauckholt und Steffen Schleiermacher gemeinsam mit diesen den Fortbestand der Gattung „Klavierlied“ und damit auch die Bemühungen der Hugo-Wolf-Akademie ziemlich grundsätzlich in Frage.

Das Lied habe – neben der Hypothek einer spezifisch deutschen Tradition – etwas Aufdringliches, so Carola Bauckholt, spreche in oft unverständlichen Texten von Gefühlen, die sie nicht nachvollziehen könne – „wie geliehene Mäntel, in die ich nicht hineinschlüpfen kann“. Steffen Schleiermacher schloss sich teilweise an: Zur Ausmalung des Gedichts durch die Komposition komme noch die mitunter penetrante Darbietung hinzu. Man werde gleichsam an der Hand genommen und gefesselt, wo es doch schöner wäre, eine eigene Meinung zum Text entwickeln zu können. Überdies konstatierte er bei vielen zeitgenössischen Werken das Auseinanderklaffen zwischen einer nicht über Richard Strauss hinausgehenden Stimmbehandlung und einem extremen, überladenen Klaviersatz, während sich andererseits auch die experimentellen Vokaltechniken inzwischen erschöpft hätten.

Impulse, so war man sich einig, müssten wohl von außerhalb kommen: aus Volksmusiken, aus dem Popbereich, aus Spoken-Word-Formaten … Man darf gespannt sein, welche Schlüsse die Akademie aus diesen Erkenntnissen zieht.

  • Die DVD-Box kann über die Geschäftsstelle der Hugo-Wolf-Akademie bezogen werden, Preis: € 7,50

www.ihwa.de

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