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Endlich wurde ein Schmuckstück der österreichischen Filmgeschichte von Hoanzl in der „Edition Der Standard“ auf DVD veröffentlicht: die Tonfilm­operette „Sehnsucht 202“.
Endlich wurde ein Schmuckstück der österreichischen Filmgeschichte von Hoanzl in der „Edition Der Standard“ auf DVD veröffentlicht: die Tonfilm­operette „Sehnsucht 202“.
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Wiener Müßiggang mit Stil

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Die Tonfilmoperette „Sehnsucht 202“ oder: „Anschluss“-Schicksale
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Endlich wurde ein Schmuckstück der österreichischen Filmgeschichte von Hoanzl in der „Edition Der Standard“ auf DVD veröffentlicht: die Tonfilm­operette „Sehnsucht 202“. Ende der zwanziger Jahre, beim Übergang vom Stumm- zum Tonfilm, war bei der Ufa ein neues Genre entstanden: die so genannte Tonfilmoperette.

Gewissermaßen erfunden haben die neue Form der Produzent Erich Pommer, der Komponist Werner Richard Heymann und der Texter Robert Gilbert, der all die Worte lieferte zu den Gassenhauern, die sich schnell von den Filmen lösten und zu „Evergreens“ wurden. Filme wie Wilhelm Thieles „Die Drei von der Tankstelle“ oder Erik Charells „Der Kongress tanzt“ gehören zum deutschen Filmerbe. Jenseits der Ufa-Klassiker gibt es aber noch viele weitere musikalische Komödien aus der Zeit bis 1933 zu entdecken: zum Beispiel die Paul-Abraham-Verfilmungen eines Richard Oswald oder Max Neufelds „Sehnsucht 202“ von 1932.

Während die Ufa-Filme in den Babelsberger Studios entstanden, ging das Team des österreichischen Films „Sehnsucht 202“ auf die Straße, wie später die Regisseure der Nouvelle Vague. Ein Wien-Film der besonderen Art, der das Wien der Drehzeit zeigt. Und ein Depression-Musical mit Wiener Flair. Eine Verwechslungskomödie mit der jungen Magda Schneider, dem späteren M-G-M-Star Louise Rainer; dem großartigen Komödianten Fritz Schulz und Attila Hörbiger. Die zeitgenössische Kritik war begeistert. So las man in „Der Film“: „Das ist – schlechthin – die bisher vollendetste Tonfilmoperette. Wie das lebt und leuchtet, wogt und wirbelt. Hier hat eine geschickte Hand filmisches Wunderland gestaltet.“

„Sehnsucht 202“ ist eine Chiffrenummer für eine bizarre Anzeige: „Dame mit Millionenvermögen, junges intelligentes Mädchen sucht Stellung gleich weder Art“. Zwei Anzeigen haben sich hier überkreuzt. Und so beginnt das ganze Drunter und Drüber. Florian Widegger vom Filmarchiv Austria hat den „Prolog“ des Films so beschrieben: „Symphonie einer Großstadt. Menschen flanieren durch die Straßen, trotz Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit. Ihre Wege führen (auch) ins Kino. Dort läuft Reklame: Das Inseratenbüro Hesse verspricht, für jeden das Passende zu finden. Zum Beispiel gibt eine Stenotypistin ihr Arbeitsgesuch auf, findet alsbald eine  Anstellung und erobert darüber hinaus auch das Herz ihres Chefs. Happy End – doch halt es war nur ein Film-im-Film, mit dem Max Neufeld seine stimmungsvoll-beschwingte Musikkomödie 1932 eröffnet.“ Inspiriert war diese „Eröffnung“ natürlich von dem großen Kinohit der Saison, „Die Privatsekretärin“ mit Renate Müller. Und während es in Wilhelm Thieles Film (nach einem Drehbuch von Franz Schulz) recht „geordnet“ zugeht, herrscht in Max Neufelds Wien das übermütige Chaos. Ein Jahr später folgte die „Machtergreifung“ und für viele der Beteiligten an diesem kleinen Meisterwerk sollte eine „neue Zeit“ beginnen.

Hier sei noch einmal kurz an das „Schicksal“ einiger jüdischer Künstler aus dem „Sehnsucht 202“-Kosmos erinnert. Schon vor dem „Anschluss“ hat der jüdische Regisseur Max Neufeld seine Heimat verlassen und in Paris, Rom und Spanien weitergearbeitet. Bis er 1947 nach Wien zurückgekehrt ist. Das Drehbuch stammt von drei außer­gewöhnlichen Persönlickeiten: Karl Farkas, Irma von Cube und Emmerich Pressburger. Der Kabarettist Karl Farkas, der zusammen mit Irma von Cube auch die Liedtexte schrieb, floh 1938 nach Frankreich. Bei Kriegsanbruch wurde er von den Franzosen als „feindlicher Ausländer“ interniert. 1941 gelang ihm die Ausreise in die USA. 1946 kehrte er nach Wien zurück. Dort wurde er zum Direktor des neu gegründeten Kaberetts „Simpl“.

Zusammen mit den jüdischen Remigranten Gerhard Bronner und Georg Kreisler hat Farkas das Wiener Kabarett der Nachkriegszeit geprägt. Berühmt wurden seine Doppelconferencen mit Ernst Waldbrunn, die eine alte jüdische Performance­tradition wieder aufleben ließen.

Die Schriftstellerin Irma von Cube, geboren in Hannover, floh 1933 nach Paris. Dort überwinterte die Drehbuchautorin der Keun-Verfilmung „Gilgi – Eine von uns“  eine Zeit lang im legendären Emigranten-„Wartesaal“ „Hotel Ansonia“, zusammen mit Friedrich Hollaender, Franz Wachsmann, Billie Wilder oder Peter Lorre. 1936 schließlich wurde sie vom M-G-M-Boss Louis B. Mayer für Hollywood entdeckt. Dort schrieb sie unter anderem die Drehbücher zu „Johnny Belinda“ und „Clara Schumanns große Liebe“. Der ungarische Drehbuchautor Emmerich Pressburger landete 1936 nach einem Zwischenstopp in Paris in London. Dort lernte er bald den britischen Regisseur und Produzenten Michael Powell kennen. Gemeinsam gründeten sie die Produktionsfirma „The Archers“. Powell & Pressburger wurden zum Dreamteam der britischen Filmgeschichte. Bis Mitte der fünfziger Jahre schufen sie einen Korpus von Meisterwerken, von „A Matter of Life and Death“ über „The Red Shoes“ bis zur modernen „Fledermaus“-Version „Oh Rosalinda!“.

Und die Schauspieler? Fritz Schulz wurde sofort nach dem „Anschluss“ aus „rassischen Gründen“ inhaftiert, wurde aber nach einigen Wochen wieder freigelassen. Kurze Zeit danach gelang ihm die Ausreise in die Schweiz, wo er schließlich 1940 Oberspielleiter des Stadttheaters von Zürich wurde. Attila Hörbiger wurde nach dem „Anschluss“ zum Star der „Wien-Film“. Und dort spielte er auch in dem berühmt-berüchtigten Melodrama mit, das den Angriff auf Polen „rechtfertigen“ sollte: „Heimkehr“. Louise Rainer hingegen gehörte zu den weiteren Entdeckungen von Louis B. Mayer. M-G-M vermarktete sie als die „neue Garbo“ und setzte sie in einigen Prestigeprojekten ein. Das Ergebnis: Innerhalb von zwei Jahren erhielt sie zwei Oscars, für ihre Rollen in „The Great Zieg­feld“ und „The Good Earth“.

Der Komponist der Filmmusik dagegen konnte den Nazis nicht entkommen. Richard Fall war der Bruder des berühmten Operettenkomponisten Leo Fall („Die Dollarprinzessin“). Er komponierte Operetten und Schlager wie „Was machst du mit dem Knie, lieber Hans“. 1930 hatte er auch die Filmmusik für die erste Tonfilmfassung von „Liliom“, inszeniert von Frank Borzage, geschrieben. Nach dem „Anschluss“ war er nach Frankreich geflohen. Dort wurde er Ende November vom französischen Durchgangslager Drancy ins KZ Auschwitz-Birkenau transportiert, wo er Anfang 1945, kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee von den Nazis ermordet wurde.

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