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Wurde Gage in Bananen gezahlt?

Untertitel
Alle Folgen des legendären „Beat-Club“ auf DVD
Publikationsdatum
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Ein historisches Datum der deutschen Fernsehgeschichte: 25. September 1965. Ein kleiner Schritt für die ARD, aber ein großer Schritt für die deutsche „Jugend“. Der spätere Tagesschau-Sprecher Wilhelm Wieben kündigte eine neue Sendereihe an: „Guten Tag, liebe Beat-Freunde. Nun ist es endlich soweit. In wenigen Sekunden beginnt die erste Show im deutschen Fernsehen, die nur für euch gemacht ist. Sie aber, meine Damen und Herren, die Sie Beat-Musik nicht mögen, bitten wir um Ihr Verständnis: Es ist eine Live-Sendung mit jungen Leuten, für junge Leute.“ Man war vorgewarnt: Einmal im Monat wollte man am Samstag nicht zum Tanztee laden, sondern zu einer Beat-Party. „Halbstark“ sang eine heute zurecht vergessene Gruppe, The Yankees, in der ersten „Beat-Club“-Sendung, und dazu hampelten im Radio-Bremen-Studio sauber gescheitelte Jugendliche mit Schlips und Rollkragenpullover herum. So begann in Deutschland die neue Zeit. Das dokumentiert eine großartige DVD-Box (veröffentlicht von ARD Video) mit allen 83 Folgen, die bis 1972 über den Bildschirm flimmerten.

Angesagt wurden die Künstler von einer Frau im knappen Mini, die heute als „Retro-Ikone“ gehandelt wird, und im Januar ihren 65. Geburtstag gefeiert hat: Uschi Nerke. Die Sudetendeutsche mit Ponyfrisur führt uns durch sieben Jahre Pop-Geschichte: von den Rattles über Cream und The Kinks bis zu Guru Guru. Mit einem Special über die damals sehr angesagte Boygroup The Osmonds, den weißen Brüdern der schwarzen Jackson Five, verabschiedete sich der „Beat-Club“ im Dezember 1972 von seinen Zusehern.

Vier Tage später eröffnete der innovative und sehr umtriebige „Beat-Club“-Erfinder Mike Leckebusch bei Radio Bremen seinen „Musikladen“. Aber das ist eine andere Geschichte. Mitte der 60er Jahre empörte sich die leider nicht immer „schweigende Mehrheit“ noch über die Sendung. „Der Beat-Club brachte es fertig, singende Affen vor der Mattscheibe zu präsentieren“, urteilte ein Zuschauer aus München, der scheinbar immer noch an den Lippen des Führers („Hottentottenmusik!“) hing. Seine Frage an die Redaktion: „Wurde die Gage in Bananen oder Erdnüssen ausgezahlt?“ Deutscher Humor vor ’68. Sieht man heute den „Beat-Club“ wieder, muss man sich schon wundern, wie bieder das anfangs noch alles inszeniert war. Brav besang Graham Bonney sein „Supergirl“, bewegte Barry Ryan die Lippen zu seiner bombastisch orchestrierten „Eloise“. Denn schon in den Anfängen wurde nicht immer „live“ gesungen. Als die Beat-Ära zu Ende ging, wurde Vollplayback immer üblicher. Die hochkomplexen Orchesterarrangements eines Mark Wirtz, der auch die Erkennungsmelodie des „Beat-Club“ geliefert hatte, „A Touch Of Velvet, A Sting Of Brass“ – zu der Go-Go-Girls tanzten –, waren nicht mehr live darzubieten. Aber selbst spätere Evergreens wie Nilssons „Everybody’s Talkin’“ oder Peter Sarstedts „Where Do You Go My Lovely“ ließ man im Originalsound. Psychedelische Kameraspielereien gab es bei Nummern wie Leonard Bernsteins „America“. Natürlich in der brachialen Instrumentalfassung von The Nice, die gedacht war als „Abrechnung“ mit dem im Vietnam-Krieg verzettelten „gelobten Land“.

„Tommy“ exklusiv

Eine Sensation war 1969 kurz nach dem Woodstock-Festival ein Block mit Songs aus der Rock-Oper „Tommy“. Exklusiv präsentierten The Who Ausschnitte aus ihrem gerade erschienen Konzeptalbum im deutschen Fernsehen. Kurz danach änderte Leckebusch sein Konzept aus Hits und Berichten aus Swinging London. Immer mehr rückte er in Zusammenarbeit mit Kollegen wie Horst Königstein einzelne Künstler in den Mittelpunkt. So gab es wirkliche Live-Auftritte von Chuck Berry, Curtis Mayfield oder Johnny Cash. Manchmal wurden die „lyrics“ dieser Künstler sogar in pädagogischer Absicht übersetzt. Es gab gewissermaßen Pop mit Untertitel. Ich hatte das ganz vergessen. Trotzdem war ich damals schwer beeindruckt gewesen von der Performance eines Soul-Predigers wie Curtis Mayfield. Und ich zumindest war „angefixt“, so sagte man damals, für ein Leben mit „black music“.

Es war diese seltsame Mischung aus Gassenhauern wie „Death Of A Clown“ und „progressiver“ Musik wie „Move On Up“, die den „Beat-Club“ so unvergleichlich machte in einer Zeit, als es im deutschen Fernsehen nur Heintje oder Peter Alexander gab. Der Samstags-„Beat-Club“ war ein Ritual in deutschen Wohnzimmern, wie die „Sportschau“ oder „Einer wird gewinnen“. Und er prägte den Soundtrack und das Lebensgefühl einer ganzen Generation, die bald, wie Uschi Nerke, in Rente gehen wird. Ja, es lag damals tatsächlich „something in the air“, wie die wundersamen Thunderclap Newman sangen.

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