Am 6. Mai wäre er 100 geworden: Orson Welles, das ewige Wunderkind des amerikanischen Kinos. Auf ewig wird er als Harry Lime in der Wiener Unterwelt herumspuken und ein magisches Wort vor sich hin brabbeln: Rosebud. Und dazu werden aus dem Grammophontrichter Anton Karas‘ Zitherklänge erklingen. Das Filmmuseum München, das den filmischen Nachlass von Welles besitzt, wird dem Schöpfer von „Citizen Kane“ im Juli eine große Retrospektive widmen.
„Citizen Kane“, laut Kritikerumfragen seit Jahrzehnten der „beste Film aller Zeiten“, ist vor allen Dingen auch ein Hörspiel. Als in den späten dreißiger Jahren Orson Welles mit „War of the Worlds“ Radiogeschichte schrieb, gehörte auch der Musiker Bernard Herrmann zur Familie. Der treue Komplize war live dabei, als der junge Orson Welles mit diesem Hörspiel über eine außerirdische Invasion ganz Amerika Furcht und Schrecken einjagte. Als musikalischer Leiter der Mercury Theater on Air-Show betreute Herrmann aber auch „Dracula“, „Sherlock Holmes“, „Oliver Twist“, „Rebecca“, „Jane Eyre“ und „The Magnificent Ambersons“. „Rebecca“ sollte bald darauf von dem Mann verfilmt werden, der ihn Mitte der Fifties ganz für sich entdecken sollte: Alfred Hitchcock. Aber noch war er der Hausmusikus von Orson Welles. Und so war er auch bei Welles‘ nächstem Projekt dabei, einem größenwahnsinnigen Film über den Zeitungsfürsten Randolph Hearst, den das Hollywood-Wunderkind Charles Foster Kane nennt.
Die Filmkritikerin Pauline Kael beschreibt Kanes Palast Xanadu als gigantischen Hallraum. „Raising Kane“ heißt ein Kapitel in ihrem Buch, eine Anspielung vielleicht auf Herrmanns 1943 entstandene Tondichtung „Welles Raises Kane“, das der Meister, der immer im Schatten des Showmans Welles gestanden ist, „Orson the Magnificent“ gewidmet hat. Als „Citizen Kane“ in den frühen Sixties endlich auch in die deutschen Kinos kam, glaubte man auf die Filmmusik von Herrmann fast gänzlich verzichten zu können. Wie damals nicht ganz unüblich, griff man bei der Synchronfassung auf irgendwelche sinfonische Archivmusik zurück. Und so ging der ganze Hörspielcharakter des Meisterwerks komplett unter: „Citizen Kane“ ist entscheidend geprägt von Welles‘ und Herrmanns Radiodramaturgie, den sparsamen szenischen Überleitungen und dem Soundtrack. Bernard Herrmann hat bereits damals ausführlich über sein musikalisches Konzept Auskunft gegeben, daran erinnert auch die Kritikerin Laura Mulvey: „Es gibt zwei Hauptmotive. Das eine – nur aus vier Tönen bestehendes Bläsermotiv – signalisiert Kanes Macht. Es erscheint in den ersten beiden Takten der Partitur. Das zweite, das ‚Rosebud‘-Motiv ist als Vibraphonsolo erstmals in der Sterbeszene am Anfang des Films zu hören. Es zieht sich in immer neuen Variationen durch den ganzen Film und bildet, wenn man es aufmerksam verfolgt, einen wichtigen Hinweis für das mit ‚Rosebud‘ Gemeinte.“ Die deutsche Version – ohne Herrmanns Musikkonzept! – führt deshalb über die Bilder allein in die Irre. Auch beim nächsten Mercury-Projekt arbeiteten Welles und Herrmann wieder zusammen. Doch „The Magnificent Ambersons“ wurde von dem RKO-Studio verstümmelt. Und so fiel dieses Mal auch Herrmanns Musik zum Opfer.
Mit den Ohren sehen sollte man auch den Film, der ihn Ende der 40er Jahre zur Kinoikone machte: „Der dritte Mann“. In dem Krimi-Melo von Carol Reed verwandelt er sich im Prater in den mysteriösen Harry Lime. In der Kanalisation von Wien hatte er einen neuen Hallraum gefunden. Ihm immer auf den Fersen: Joseph Cotten & Anton Karas. Welles‘ Schatten-Stimme und Karas‘ Zitherspiel verschmolzen zu einem monströsen Ton-Körper. „The Third Man“ beschallte 1950 die ganze Welt.
Danach pendelte Welles zwischen Hollywood und Europa hin und her und entdeckte wieder neue Musiker für sich, wie den Italiener Francesco Lavagnino, der für seine großartige „Othello“-Verfilmung einen sehr düsteren Score lieferte. 1957 schließlich gelang Orson Welles sein größter – und letzter – Kinohit: „Touch of Evil“. Sehr eng arbeitete er bei dieser „Universal“-Produktion mit einem Angestellten des Studios zusammen, der Arrangeur gewesen war beim neuen Glenn Miller Orchestra: Henry Mancini.
Ungewöhnlich farbig war das Ergebnis, das im Kino aufhorchen ließ. Der jazzige „Touch of Evil“-Soundtrack war Mancinis Gesellenstück und die Blaupause für seine Scores für Blake Edwards, dem er kurz danach auf dem Studiogelände zum ersten Mal begegnen sollte. Wie sagt am Ende von „Touch of Evil“ Marlene Dietrich über ihren alten Freund Orson Welles: „He was some kind of a man.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.