Ein paar Buhrufe musste Hans Neuenfels auch in diesem Jahr nach der Wiederaufnahmepremiere seines «Lohengrin» bei den Bayreuther Festspielen einstecken. Er nahm sie, wie immer, mit einem Lächeln entgegen, er kennt das seit Jahrzehnten. Beim breiten Publikum ist die originelle «Rattenplage» aber längst zum absoluten Liebling avanciert. Gerade ist der große Meister des Regietheaters 70 geworden und an diesem Montag erscheint dazu passend sein humorvoll-ironischer Rückblick auf mehr als 40 turbulente Jahre Theater- und Opernschaffen.
Sein «Bastardbuch» ist zugleich eine große Liebeserklärung an seine Frau Elisabeth Trissenaar. Mit der schönen Schauspielerin geht er seit fast 50 Jahren gemeinsam durchs Leben. «Ich frage mich ständig, was wohl aus mir geworden wäre, wenn es sie nicht gäbe», sagte er mit seiner unverkennbaren Reibeisenstimme der Nachrichtenagentur dapd.
Neuenfels geht mit sich selbst nicht zimperlich um: nennt sich einen «Bastard», einen «Trinker». «Bastarde sind mitteilsamer, weil sie ausgesetzter sind, und gleichzeitig verschlossener, aber wenn das Eis bricht, kennen sie kein Halten», so beschreibt er einen Bastard. Bei aller Flüchtigkeit seiner sonstigen Arbeit, wollte er in diesem Buch etwas festhalten von seinem Leben, sagte er. «Dies ist der Versuch, die Empfindungen bei der Arbeit, bei den einzelnen Inszenierungen noch mal nachzuvollziehen. Schließlich bleibt davon nie etwas übrig: keine DVD, kein Video. Eine Kunstform also, die es nur im Moment gibt.» Aber er findet diese Flüchtigkeit schön, «wie das Leben, da bleibt ja auch nicht sehr viel übrig».
Ein Beruf mit Angst besetzt
Für ihn ist der Beruf des Regisseurs bis heute mit Angst besetzt. «Es gibt so viele Fallen, in die man tappt», sagte er. In Bayreuth sei ihm das zwar nicht passiert. «Doch die Angst hat sich bis heute nicht verloren, obwohl ich mit großer Neugier herangehe», sagte Neuenfels. Das Sich-selbst-Ausliefern gehört für ihn zum Risiko, das er aber zugleich auch sucht. Und es gibt auch bittere Töne in seinen Erinnerungen: dass ihm seine künstlerische Heimat abhandengekommen ist, weil selbst wagemutige Opernhäuser wie die Oper Stuttgart oder die Komische Oper Berlin ihn nicht mehr anfragen. Und trotzdem will er weitermachen, nur am Schreibtisch sitzen und schreiben ist nichts für ihn. «Schreiben ist für mich Disziplin, ein wichtiger Moment der Selbstbefragung.»
Seine berufliche Laufbahn begann Neuenfels als Assistent des Surrealisten Max Ernst. Eine eigene Karriere in der bildenden Kunst kam für ihn aber nie in Betracht, obwohl er sich immer sehr für Malerei interessiert habe. «Ich habe die bildende Kunst sehr bewundert, sie war mir aber doch sehr fremd», sagte er. Schon häufiger sah er in den letzten Jahren sein Karriereende nahen, sah sich von Opernhaus-Intendanten ins Abseits gestellt, so etwa nach seiner umstrittenen «Idomeneo»-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin. «Hans, alter Knabe, das war's! Du bist raus!», schreibt er in seinem Buch nach diesen Erfahrungen.
Der Anruf aus Bayreuth
Doch es ging immer weiter für ihn, schließlich kamen sogar die Bayreuther Festspiele und fragten an. Und er beschreibt ein feucht-fröhliches Treffen mit Gudrun Wagner, die bis zu ihrem plötzlichen Tod die eigentliche Chefin am Grünen Hügel war. «Ich erlebte eine engagierte, witzige, attraktive Frau - direkt und übermütig», schreibt er. Es sei ihm gleichgültig, was er vorher und nachher über sie und ihre Position in Bayreuth gehört habe.
Dass es auch nach seinem 70. noch mit der Opernregie weitergeht, dafür sorgt jetzt auch sein Freund Jürgen Flimm, der neue Intendant der Berliner Staatsoper Unter den Linden: 2012 wird Neuenfels erstmals an dem traditionsreichsten der drei Berliner Opernhäuser inszenieren.