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Franz Grundheber
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Erschütterung statt Belehrung: Franz Grundheber singt „Lieder einer Reise“

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„Ach Gott, wie graust mir vor dem Tod“. Jedermann sagt das, unser Alter Ego, das Hugo von Hofmannsthal wie einen groben Keil mitten in die menschliche Selbstgenügsamkeit gehauen hat. Die Selbstbeherrschung dieses Jedermann ist zu groß, um nackte Angst zu zeigen. Noch. Am Ende wird ein Klageruf stehen, ein Flehen, ein Wimmern. Doch ist die Hinwendung zum Heiland ernst gemeint? Meint Jedermann mit der himmlischen Glorie, um die er bittet, nicht den Glanz des Goldes, der ihn sein Leben lang geblendet hat?

Franz Grundheber singt die Jedermann-Monologe von Frank Martin. Und ohne jede Einschränkung ist dies ein erschütterndes musikalisches Ereignis, das zugleich Lust macht auf einen Liedgesang, der seine Ausdrucksfarben aus der vollen Farbskala ohne luftig verwässerte Pastelltöne schöpft. Auch wenn Grundheber zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits 65 Jahre alt war (jetzt ist er 71), man möchte ausrufen: Was für ein Kerl ist das!

Dass man bei ihm jedes Wort versteht und dafür dennoch nie die belkanteske Linie opfern muss: Diese Erkenntnis klingt so banal und ist im deutschen Liedgesang doch eine solche Seltenheit, dass Grundhebers Lied-CD schon deshalb eine Offenbarung ist. Doch jenseits aller Erklärungsversuche wie stimmlicher Frische, Technik, Gesangskultur und so weiter überträgt die Aufnahme den Kern der Faszination, die dem menschlichen Gesang innewohnt.

Mag sein, dass Lebenserfahrung dabei eine Rolle spielt. Auf jeden Fall aber stimmliche Reife. Grundheber macht dem Hörer nichts vor, er verzichtet auf jede nervende Überbetonung, auf belehrende Wortakzente. Dieser Liedgesang soll kein germanistisches Proseminar ersetzen.

Selbst bei den vergleichsweise braven Liedern von Felix Mendelssohn-Bartholdy lässt Grundheber sich nie verleiten, zu viel zu machen, um die Stücke interessanter zu machen. Und gerade diese Disziplin wertet etwa ein Werk wie „Neue Liebe“ nach Heinrich Heine zu einem Wahnsinnsritt zwischen Liebeswahn und Todessehnsucht auf.

Die Lieder einer Reise, so nennt Grundheber die CD, sie können unmöglich vor Franz Schubert Halt machen. Auch hier braucht Grundheber selbst prominenteste Vorgänger nicht zu fürchten. „Der Atlas“ etwa wirkt bei ihm um so leidender, weil man ihm eigentlich jede Kraft zutrauen würde. Und „die Stadt“, in der das lyrische Ich das Liebste verlor, mag erzittern vor der Verzweiflung, mit der Grundheber diesen Verlust beklagt.

Das Lied sei wie eine kleine Szene, gar wie ein kleines Drama, belehren Gesangslehrer und pädagogisch ambitionierte Bühnenstars gerne ihre Schüler. Natürlich haben sie Recht damit. Doch was das bedeutet, erschließt sich bei Grundheber als Selbstverständlichkeit. Sprache und Musik, als Einheit begriffen, bedürfen keiner erklärenden Interpretation, sondern eines Sängers wie Franz Grundheber.

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